Schlechte Ausrüstung, mangelnde Ausbildung, wenig Vorbereitungszeit – die Zustände in der russischen Armee sollen miserabel sein. Immer mehr Mobilisierte wollen sich den Umgang nicht gefallen lassen. In den letzten Wochen kam es zu einer Welle von Protesten im ganzen Land.
Anfang Oktober tauchte ein Video von Mobilisierten in der Region Belgorod auf. Die Männer klagten darüber, alte Waffen und kein Essen erhalten zu haben. Sie hätten zudem draussen in der Kälte schlafen müssen. «Eine Woche lang lebten wir unter absolut unmenschlichen Bedingungen. Es gibt keine materielle Versorgung, keine Geldzuwendung – gar nichts», ist im Video zu hören. «Niemand braucht uns, wir haben keine Ausbildung», rufen die Mobilisierten.
Und auch in Omsk mussten die Männer unter freiem Himmel schlafen. Auf die versprochenen Zelte warteten sie mehrere Tage, wie es in einem Video hiess.
Massenstreik in Uljanowsk und Kasan
Anfang November streikte eine Gruppe Mobilisierter im Ausbildungszentrum in Uljanowsk. Der Grund: Das von Wladimir Putin (70) versprochene Geld wurde nicht ausbezahlt.
«Warum sollten wir dann für diesen Staat in den Krieg ziehen und unsere Familien ohne Unterstützung zurücklassen?», fragen die rund 100 Männer aus Tschuwaschien in einem Video-Appell. Und sie stellen klar: «Wir weigern uns, an der militärischen Sonderoperation teilzunehmen, und werden so lange nach Gerechtigkeit streben, bis wir das Geld erhalten.»
Zuletzt protestierten die Soldaten in Kasan. Sie beschwerten sich über die schlechten Bedingungen auf dem Trainingsgelände, über ihre verrosteten Maschinengewehre, Mangel an Wasser, Lebensmittel sowie Brennholz zum Heizen.
Propagandist beschimpft Soldaten
Die Videos davon verbreiteten sich wie ein Lauffeuer im Netz. Auch Putins Chef-Propagandist Wladimir Solowjow (59) hat davon Wind bekommen. Am Dienstag schoss er in einer seiner Sendungen scharf gegen die Männer: «Du erzählst, dass dir dein Kommandant nicht passt und du auch nicht gut ausgebildet wurdest. Aber du selbst – wie hast du dich vorbereitet? Was hast du auf dem Schiessstand gemacht, um für den Kampf gerüstet zu sein? Oder glaubst du, dass dir alle etwas schulden? Was schuldest du denn dem Staat? Was schuldest du denn der Heimat?»
Solowjow beschimpft auch diejenigen, die bereits in die Ukraine geschickt wurden, dort aber nicht kämpfen wollen und die Kriegsbefehle missachteten.
«Solchen, die sich in die Hosen gemacht haben, von der Front wegrennen und dann irgendwelche Geschichten erzählen, die den Feind erfreuen, muss ich sagen: Ja, der Krieg ist hart, er ist schmerzhaft und bitter. Aber du hast deine heilige Pflicht! Und wenn du Angst hast, wegrennst und dann überall davon erzählst, dann verrätst du deine Kameraden!» Der Propagandist redet sich richtig in Rage: «Du bist ein Verräter! Du bist weggerannt! Du bist ein Feigling und ein Deserteur!»
Wem Ausrüstung nicht gefällt, soll sie selber kaufen
Solowjow beleidigt sogar die Militär-Bloggerin Anastasia Kaschewarowa (34). Im Oktober übte sie scharfe Kritik an den Kommandanten, die ihrer Meinung nach Schuld am Tod der mobilisierten Soldaten aus Tscheljabinsk seien, die bereits nach wenigen Tagen im Krieg fielen. «Einige der Kommandanten sollte man auf der Stelle erschiessen», schrieb sie damals auf Telegram. Diese Kritik gefiel Solowjow offenbar gar nicht. «Du bist eine Journalistin, aber fluchst wie die letzte Hure», schreit er.
Die Klagen der Angehörige der Mobilisierten nennt er «Gejaule» und spricht davon, dass Russland im Krieg mit der Nato sei. «Das ist eine schwierige Situation. Ihr könnt das die spezielle Militäroperation nennen oder wie auch immer – das ändert nichts an der Tatsache.»
Solowjow ist nicht der einzige, der auf die Klagen der Männer mit absolutem Unverständnis reagiert. Der Gouverneur der russischen Region Orjol, Andrej Klytschkow, stellte sich am Montag in einer Live-Übertragung den Fragen der Einwohner. Einige äusserten Unzufriedenheit mit der Ausrüstung. «Wir haben mit dem, was wir hatten, so viel wie möglich gekauft. Es gab nichts anderes. Dafür wurden Dutzende von Millionen Rubel ausgegeben. Wenn es jemandem nicht gefällt, kann er es selbst kaufen. Man kann es nicht allen recht machen», antwortete Klytschkow.