So erklärt Marcel Hirscher sein Ski-Comeback
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Neustart mit 35 Jahren:So erklärt Marcel Hirscher sein Ski-Comeback

Mit dem Ski-Star in Holland
«Marcel Hirscher? Den kennen wir nicht!»

Österreichs einstiger Nationalheld Marcel Hirscher wird am kommenden Sonntag in Sölden sein Weltcup-Comeback für das Heimatland seiner Mutter, die Niederlande, geben. Wie gut kennen sich die Holländer mit dem Skirennsport aus?
Publiziert: 20.10.2024 um 20:23 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2024 um 08:57 Uhr
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Hinter diesem Haus in Huizen bei Amsterdam befindet sich ...
Foto: Sven Thomann

Oberflächlich betrachtet erscheint die Kombination Holland und ein alpiner Superstar ähnlich unpassend wie Apfelstrudel mit Leberwurst. Deshalb hörte es sich wie ein verspäteter Aprilscherz an, als der achtfache Gesamtweltcupsieger Marcel Hirscher am 23. April verkündete, dass er nach einer fünfjährigen Wettkampfpause für «Oranje» starten werde.

Dass in diesem flachen Land, das zu einem Viertel unter dem Meeresspiegel liegt, kaum jemand auf den Riesen- und Slalom-Künstler aus den Alpen gewartet hat, bemerkte der gebürtige Salzburger erstmals im Juli. Hirscher wollte rund 45 Auto-Minuten vom Amsterdamer Flughafen entfernt in der Skihalle von Zoetermeer ein paar Trainingseinheiten absolvieren. Als sein Manager die Indoor-Piste für den Superstar reservieren wollte, erhielt er am Telefon eine überraschende Antwort: «Marcel Hirscher? Den kennen wir nicht!» Dass es in den Niederlanden aber auch eine Gruppierung gibt, die wahrhaftig skiverrückt ist, wird 81 Kilometer nordöstlich von Zoetermeer in Huizen bei Amsterdam klar. 

Vom Silikon-Hügel in den Weltcup

Neben einem Tenniscourt, einem Fussball- und einem Hockeyfeld befindet sich in der Kleinstadt Huizen (41'000 Einwohner) das Gelände des Wolfskamer Skiklubs, der aktuell 3500 Mitglieder zählt. Hier findet man die bekannteste Kunststoff-Skipiste von Holland, auf der nicht nur trainiert, sondern auch Rennen ausgetragen werden – der Sieger des letzten Huizen-Slaloms benötigte pro Durchgang knapp acht Sekunden. Präpariert werden die Ski nicht mit Wachs – Tests haben ergeben, dass Silikon das perfekte Gleitmittel für diesen Kunststoffbelag ist.

Marcel Hirscher hat einen besonderen Bezug zu dieser Anlage. «Weil mein Vater in Huizen als Skilehrer tätig war, bin ich als kleiner Bub ein paarmal über diese besondere Piste gekurvt», erinnert sich Hirscher.

Von diesem 150 Meter langen Silikon-Hügel aus hat ein waschechter Niederländer den Sprung auf die grosse Weltcup-Bühne geschafft. Sein Name: Maarten Meiners. Als Marco Odermatt 2020 in Santa Catarina seinen ersten Sieg bei einem Weltcup-Riesenslalom feierte, klassierte sich Meiners als 26. erstmals in den Weltcup-Punkten. Im Januar 2022 fuhr der Riesen-Spezialist am Adelbodner Chuenisbärgli als 28. drei weitere Punkte heraus.

Das sind beeindruckende Ergebnisse, wenn man in Betracht zieht, dass Meiners erst ab dem zwölften Lebensjahr auf echtem Schnee trainiert hat. «Meine Eltern wollten mich schon viel früher in den Ski-Unterricht in den Alpen schicken. Aber weil ich als Knirps ausschliesslich Holländisch redete und deshalb der Meinung war, dass ich den Skilehrer sowieso nicht verstehe, habe ich lange ausschliesslich in Huizen trainiert», sagt Meiners schmunzelnd, der seit seinem Ski-Karriereende 2023 für eine Grossbank im Amsterdam arbeitet.

Der «Streif-Crasher» aus Den Haag

Im Den Haager Vorort Voorburg residiert mit Lody Pieters einer von drei echten Holländern, der in Kitzbühel bei der gefährlichsten Abfahrt der Welt gestartet ist. Dem gebürtigen Rotterdamer läuft es noch heute eiskalt den Rücken herunter, wenn er an sein «Streif»-Debüt 1981 zurückdenkt: «Es hat stark geschneit, und die Sicht war ganz schlecht. Als kurz vor dem Start sogar Österreichs Abfahrts-Kaiser Franz Klammer zu mir gesagt hat, dass er auf der Streif noch nie so schlimme Bedingungen erlebt habe, war das für mich als Hahnenkamm-Grünschnabel natürlich nicht gerade motivierend.»

Dummerweise wurde Pieters auch noch von seinem Coach im Stich gelassen. «Nach der Besichtigung wurde die Linkskurve nach der Mausefalle vereist. Während die Trainer der grossen Nationen ihre Athleten über Funk darüber informierten, hat mir kein Mensch etwas gesagt. Ein ziemlich heftiger Sturz war die logische Folge.»

Ein Jahr später hat es Lody in Kitzbühel immerhin bis zur Hausbergkante geschafft. «Dort bin ich leider zu weit nach rechts gesprungen, was mit dem Abflug in den Staketenzaun bestraft wurde. Nach diesem üblen Crash gab es einige Leute, die nicht glauben konnten, dass ich noch ganz bin.» Im selben Winter verbuchte der 13-fache niederländische Meister bei der WM in Schladming mit dem 21. Rang im Slalom seine beste Platzierung auf der höchsten Alpin-Stufe. Aber Pieters relativiert: «Weil in diesem Slalom viele gute Athleten ausgeschieden sind, war meine Rangierung besser als die Leistung.» Der mittlerweile 68-Jährige bestreitet nach wie vor FIS-Senioren-Masters-Rennen. Im letzten Winter klassierte er sich in Veysonnaz im Riesen- und im Slalom in den Top 10.

Der Oranje-Schweizer

Im Villenviertel der 550'000 Einwohner-Metropole Den Haag steht das prächtige Elternhaus von Hollands grösstem Alpin-Talent hinter Marcel Hirscher. Der 23-Jährige heisst Aleix Linse und hat einen starken Bezug zur Schweiz. Aleix' Papa Rodger hat sich als Fussball-Spielervermittler einen grossen Namen gemacht. Nachdem Linse 2001 Ruud van Nistelrooy für die damalige britische Rekordsumme von 28,5 Millionen Euro von PSV Eindhoven zu Manchester United transferierte, verlegte er seinen Firmenhauptsitz aus steuertechnischen Gründen nach Samnaun GR.

Hier entwickelte sich der Junior zu einer echten Ski-Kanone. Bei den Bündner Meisterschaften war Aleix Linse im Slalom schneller als Fadri Janutin, der sich im letzten Weltcup-Winter erstmals in den Top 15 klassierte. Linse zeigte aber auch als Fussballer grosses Talent – als Verteidiger erzielte er ein Tor gegen die U17 von Atlético Madrid und weckte damit das Interesse der Scouts des Ehrendivisionärs ADO Den Haag.

Doch Aleix Linse hat sich entschieden, voll auf die Karte Ski zu setzten. Dass er bis jetzt noch keine Weltcuprennen bestritten hat, ist in erster Linie auf Verletzungen zurückzuführen. Zwischen 2018 und 2020 hat er sich zweimal das Schien- und Wadenbein gebrochen. Um künftig noch professioneller trainieren zu können, hat Linse im Frühling das «Edge»-Privatteam gegründet. Neben zahlreichen Fussballgrössen investiert auch Ex-Wimbledon-Champion Richard Krajicek Geld in dieses Projekt. Linse will seine Investoren längerfristig mit Gold belohnen: «Mein Ziel ist es, bis 2030 Olympiasieger zu werden.»

Reporter packt die verrücktesten Storys aus

Unweit von Alkmaar wohnt in einem Backsteinhaus Reporter-Legende Sieb Oostindie. Der 64-Jährige hat während 35 Jahren für Hollands auflagenstärkste Zeitung «De Telegraaf» in die Tasten gehauen. Oostinidie packte am 25. Juni 1988 auf der Pressetribüne des Münchner Olympiastadions die ganz grossen Buchstaben aus, nachdem Marco van Basten mit seinem Jahrhundert-Tor gegen die Sowjetunion die «Elftal» zum Europameistertitel geschossen hatte. Er ist im Land der begnadeten Kicker und der schnellen Eisschnellläufer aber auch der einzige Journalist, der regelmässig über den Skisport berichtet hat.

«Es gibt zwei Millionen Niederländer, die Jahr für Jahr für den Skiurlaub in die Alpen vereisen. Auch deshalb habe ich immer dafür gekämpft, dass diese Sportart in unserer Zeitung eine Plattform erhält.» Oostindie weiss, dass ein Toilettenreiniger in der niederländischen Ski-Geschichte eine besondere Rolle spielt. «Herr Noels, Direktor einer Bürstenfabrik in Heerhugowaard, hat in den frühen 60er-Jahren seine Toilettenbürsten auf den Kopf gedreht und bemerkt, dass man auf diesem Material Ski fahren kann. Er hat neben der Fabrik eine kleine Piste gebaut, auf der dann auch der Bürgermeister abgefahren ist.»

Komplett abgefahren ist auch die Anekdote, die Oostindie über den Abfahrer Hans van der Veldt auspackt. «Hans schnallte erst mit 13 erstmals Ski an, dennoch hat er bei den Weltcuprennen in Kitzbühel zweimal die berüchtigte Streif bezwungen. Weil er im Sommer nicht wie die grossen Ski-Nationen in Übersee Abfahrt trainieren konnte, montierte er auf dem Auto-Anhänger seines Physiotherapeuten Jules Alberga zwei Abfahrtsski. Während Hans sich in tiefer Hocke auf den Ski positionierte, ist Jules mit dem Auto-Anhänger wie ein Verrückter über holperige Strassen gefahren. Damit konnte die Fahrt über eine unruhige Abfahrtspiste simuliert werden.» 

Hirscher drückt der Schuh

Dann beginnt Oostindie, die spezielle Geschichte seiner ersten Begegnung mit Marcel Hirscher zu erzählen. «Während der Fussball-EM 2008 war ich hauptsächlich für die Berichterstattung über Polens Nationalmannschaft mit dem holländischen Trainer Leo Beenhakker zuständig. Das letzte Gruppenspiel war in Salzburg. Da es in diesem Match um nichts mehr ging, bin ich anstatt ins Fussballstadion in Richtung Annaberg gefahren. Ich hatte erfahren, dass dort der blutjunge Halb-Holländer Marcel Hirscher wohnt.»

Nachdem Oostindie die Nummer von Hirscher in sein Handy eingetippt hatte, meldete sich Marcels Mama Sylvia, die in Den Haag aufgewachsen ist. «Sie hat sich sehr gefreut, dass sich ein Journalist aus ihrer Heimat für ihren Sohn interessiert und hat mir den Weg zu ihrem Haus geschildert.»

Hirscher hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Weltcupsieg auf dem Konto. So war Oostindie der Allererste, der eine Homestory mit dem Ausnahmekönner – mit mittlerweile 67 Weltcupsiegen – abgedruckt hat. «Ich habe damals eine ganze Seite über Marcel im ‹Telegraaf› gebracht.»

Seit sich Sieb Oostindie in die Rente verabschiedet hat, kam der Skisport auch im «Telegraaf» nur selten über die Kurznachrichten hinaus. Und im Moment deutet kaum etwas darauf hin, dass Marcel Hirscher daran etwas ändern könnte. Fakt ist: Der Weltcup-Auftakt vom kommenden Wochenende in Sölden wird im holländischen Fernsehen nicht zu sehen sein. Es ist aber auch noch nicht ganz sicher, ob Hirscher den Riesenslalom auf dem Rettenbachgletscher bestreiten wird. Mehrere Insider berichten, dass der siebenfache Weltmeister und zweifache Olympiasieger in den letzten Monaten gravierende Probleme mit dem neuen Van-Deer-Skischuh hatte. Deshalb wird der grosse Altmeister wohl erst am Mittwoch entscheiden, ob er sein Wettkampf-Comeback in Sölden oder erst im Dezember in Beaver Creek oder Val d’Isère gibt.

Hirscher zeigt seine Slalom-Künste
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Trainingsvideo aus Neuseeland:Hirscher zeigt seine Slalom-Künste
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