Sölden spielt in der Biografie von Lucas Braathen eine ganz besondere Rolle. Im Oktober 2020 war der damals 20-jährige Edeltechniker beim Riesenslalom auf dem Rettenbachgletscher fünf Hundertstel schneller als Marco Odermatt und feierte damit seinen ersten Weltcupsieg. Vor zwölf Monaten löste der Alpin-Popstar mit den lackieren Fingernägeln im Ötztaler Gletscherdorf einen medialen Tsunami aus, weil er zwei Tage vor dem Saisonauftakt aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit dem norwegischen Verband seinen Rücktritt erklärte. In zwei Wochen wird Braathen in Sölden erneut eine Hauptrolle spielen, weil er für Brasilien (seine Mutter stammt aus der Region São Paulo) sein Comeback gibt.
Wie steht es um die Form des Mädchenschwarms, der seit seinem Nationenwechsel besonderen Wert auf seinen zweiten Vornamen Pinheiro legt? «Pinheiro hat zuletzt in Sölden trainiert. Und ich werte die Tatsache, dass ich in dieser Phase weder einen Anruf von ihm noch von seinem Servicemann erhalten habe als sehr gutes Zeichen. Hätte etwas nicht richtig funktioniert, hätten sie sich bestimmt bei mir gemeldet», glaubt Christian Höflehner, Rennchef von Braathens Ausrüster Atomic.
Trainingscamp in Neuseeland lief nicht nach Plan
Braathens Ski-Trainer ist seit letztem Frühling der Österreicher Mike Pircher, der bis im März 2019 den achtfachen Gesamtweltcupsieger Marcel Hirscher gecoacht hat. Der Steirer macht im Gespräch mit Blick deutlich, «dass Lucas bis zur absoluten Topform schon noch ein paar Schritte machen muss».
Pircher wird konkret: «Ursprünglich wollten wir im Sommer sieben Wochen auf dem Schnee in Neuseeland trainieren. Weil die Bedingungen letztendlich nicht mehr gut genug waren, mussten wir das Neuseeland-Camp rund eine Woche früher als geplant beenden. Somit fehlen uns ein paar wichtige Trainingstage. Nach seiner einjährigen Wettkampfpause benötigt Lucas einen besonders grossen Trainingsumfang, damit sein Timing in den Toren wieder optimal passt.»
Hat Braathen einen Materialvorteil?
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Pircher beim Saisonauftakt von seinem Schützling nicht den ganz grossen Knaller erwartet: «Wir dürfen nicht vergessen, dass Lucas in Sölden nicht in der Topgruppe starten kann, sondern mit einer 30er-Nummer ins Rennen gehen muss. Und mit einer derart hohen Nummer darf man keine absolute Spitzenplatzierung erwarten.»
Betreibt der Cheftrainer des Brasil-Ski-Teams ganz bewusst Tiefstapelei? Fakt ist: Als Braathen in den letzten Tagen in Sölden trainierte, wurde er von einigen Trainern anderer Teams beobachtet. Und die berichten, dass der Neo-Brasilianer extrem schnell unterwegs sei.
Österreichs Ski-Experte Nummer 1 Hans Knauss (53, Riesenslalom Vizeweltmeister 2003) rechnet fest damit, dass Lucas Pinheiro Braathen schon bald an seine früheren Topleistungen anknüpft: «Es ist ja nicht so, dass sich Lucas nach einer schweren Verletzung zurückkämpfen muss. Der Bursche ist topfit. Ich glaube, dass er der schärfste Herausforderer von Marco Odermatt wird.»
Der Walliser Slalom-König Daniel Yule (31, 7 Weltcupsiege) nennt einen weiteren Grund, warum wir mit einem besonders starken Comeback des «Satansbraathen» rechnen müssen: «Die Atomic-Piloten waren in dieser Saisonvorbereitung sehr schnell. Es spricht auch dafür, dass sie neues Material besitzen, das besonders gut funktioniert.» Atomic-Boss Höflehner nimmt die Worte des Fischer-Piloten Yule wohlwollend zur Kenntnis: «Ich glaube schon, dass Pinheiro wieder dort hinkommt, wo er vor seinem Rücktritt war.»
Wir erinnern uns: In seiner letzten Wettkampf-Saison 2022/23 hat Braathen den Slalom-Gesamtweltcup gewonnen.