Niels Hintermann sitzt neben Dr. Walter O Frey in einem Sitzungszimmer in der Zürcher Hirslandenklinik. Auf den schnellsten Zürcher Skirennfahrer seit Peter Müller sind zahlreiche Mikrofone und Kameras gerichtet.
In der hintersten Reihe sitzt Hintermanns Herzdame Lara. Die HR-Managerin sagt mit leiser Stimme zum Blick-Reporter: «Nach diesem wunderbaren Sommer habe ich nicht damit gerechnet, dass wir derart schnell eine solche Hiobsbotschaft erhalten.»
Die Nachricht von Niels Krebserkrankung haben die Hintermanns am vorletzten Dienstag erhalten. Aber der Reihe nach.
Am 17. Februar fährt der 29-jährige Hintermann in Kvitfjell bei der finalen Abfahrt der letzten Saison seinen dritten Weltcupsieg ein. Den schönsten Tag seines Lebens erlebt der 100 Kilo-Brocken am 6. Juli, als er auf der Lenzerheide seine Frau Lara vor den Traualtar führt.
Physio bemerkt Schwellung
Sechs Wochen später rückt Hintermann ins Trainingslager nach Chile ein, wo er mit konstant schnellen Zeiten überzeugt. In den Anden begegnet Hintermann seinem ehemaligen Abfahrts-Coach Sepp Brunner, welcher seit 2017 Speed-Chef bei den Österreichern ist. «Ich habe Niels selten so positiv wahrgenommen, wie während unserem Gespräch in Chile», erzählt Brunner.
Doch dann bemerkt Swiss Ski-Physio Kevin Thüring nach einem Trainingslauf im Valle Nevado, dass der Lymphknoten an Hintermanns Hals ungewöhnlich dick ist. «Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt nicht das geringste Symptom verspürt. Aber nach dem Hinweis vom Physio war klar, dass ich mich nach der Rückkehr in die Schweiz genauer untersuchen lassen muss.»
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Und nach dieser Untersuchung hat der Abfahrts-Spezialist eine Diagnose erhalten, die ihm im ersten Moment den Boden unter den Füssen weggezogen hat – Lymphdrüsenkrebs! «Ich bin enorm erschrocken, mein Leben hat sich auf einen Schlag um 180 Grad gedreht», erzählt Hintermann. «Auf einmal rückt der Sport in den Hintergrund. Plötzlich geht es einzig und alleine um die Existenz, ums Überleben».
Odermatt: «Letzte Woche noch viel zusammen gelacht»
Zum Glück erhält er kurz darauf eine erste Entwarnung. «Weil der Krebs in einem sehr frühen Stadium entdeckt wurde und es keine Ableger gibt, haben mir die Ärzte gesagt, dass mein Leben nicht in Gefahr sei.» Dennoch warten auf Hintermann in den kommenden Monaten mehrere Chemo-Therapien. «Die Situation bleibt beschissen», hält der Mann mit dem Übernamen «Cinghiale» (Wildsau auf Italienisch) fest und betont, «dass ich bis jetzt weder in der Familie noch im engeren Freundeskreis mit einem Krebspatienten konfrontiert wurde. Deshalb bin ich vor der Chemo-Therapie nervös, weil ich nicht weiss, was da genau auf mich zukommt».
Hintermanns Schicksal geht auch Superstar Marco Odermatt nahe. «Ich hatte noch zu Beginn der letzten Woche viel Spass mit Niels, als wir gemeinsam bei einem Foto-Shooting für einen Verbandssponsor posiert haben – wir haben dabei sehr viel zusammen gelacht. Deshalb kommt die Nachricht von seiner Erkrankung auch für mich völlig unerwartet, es ist ein echter Schock. Und in diesem Moment wird mir wieder einmal klar, dass es im Vergleich zu einer solchen Diagnose lächerlich ist, wenn ich mich über ein Zwicken im Rücken beklage», resümiert der dreifache Gesamtweltcupsieger.
Klar ist, dass Hintermann in diesem Winter keine Skirennen bestreiten wird. Ein Rücktritt vom Leistungssport ist zum jetzigen Zeitpunkt aber kein Thema. «Es ist mein Ziel, dass ich im kommenden August das Training mit meinen Teamkollegen wieder aufnehmen kann», sagt die leidgeprüfte «Abfahrts-Wildsau» kämpferisch. Christian Höflehner, Rennchef von Hintermanns Ausrüster Atomic, ist von einem Happy End in diesem Drama überzeugt: «Es ist klar, dass die nächsten Monate für Niels ganz sicher nicht lustig werden. Aber ich weiss, dass er einen aussergewöhnlich starken Charakter hat. Und deshalb glaube ich daran, dass er nach seiner Krebs-Therapie wieder Weltcuprennen gewinnen wird.»
Aber zuerst kommt für Hintermann jetzt das Rennen seines Lebens.