Er war beim Eidgenössischen 2019 einer der grossen Stars und eine der tragischen Figuren. Joel Wicki stürmte in den Schlussgang, gewann auch das Fest, punktgleich mit Christian Stucki. Doch weil er den Schlussgang verlor, ist er nicht König.
Der 23-Jährige verkörpert trotzdem die Zukunft des Schwingsports. Professionell und athletisch, traditionsverbunden und zugleich weltoffen. Das beweist er im Interview mit der «Weltwoche».
Joel Wicki über ...
… Klischees, die er nicht mag.
«Konservativ» – ich glaube, das sind wir nicht. Wir sind für alle da und sehr offen. Der Sport ist ein bisschen urchig, aber so ist er halt entstanden. Wir sind, wie wir sind. Mit uns kann man sich austauschen, wir sagen einander «Sali». Ich würde doch nicht vorbeilaufen und nichts sagen. Das ist bei uns unanständig.
… die Existenz von linken Schwingern.
Ou, das wüsste ich gar nicht. Ich glaube, wenn ja, werden sie toleriert.
… Curdin Orlik und sein Outing.
Im ersten Moment hat man darüber gesprochen, bei einem Kaffee vielleicht. Orlik wurde aber nie ins Böse gezogen. Das ist gut so. Man darf jemanden nicht noch mehr plagen, wenn es für ihn stimmt. (Nachfrage, was er mit Plagen meint, d. Red.) Für ihn war das Outing sicher eine Qual. Ein Geheimnis so lange zu hüten, muss schlimm sein … Ich würde ihn (beim Schwingen, d. Red.) überhaupt nicht anders anpacken. Er schwingt ja immer noch gleich, und er schwingt sehr gut. Ich glaube, das hat alles keinen Einfluss auf den Sport. Uns Schwingern ist das egal.
… Groupies.
Das gibts nicht gerade. Das interessiert mich auch nicht: Ich habe eine tolle Freundin. Aber viele Leute kommen und wollen mit mir reden. Extrem ist es, wenn ich am Abend weggehe. Dann wollen alle ein Foto. Dafür muss man der Typ sein, cool bleiben. Aber: Da kommt man rein. Erst als die Sache mit den Medien kam, dachte ich: Das ist speziell, will ich das?
… Geld.
Ich sage immer, ich schwinge nicht fürs Geld, sondern aus Freude. Ich arbeite ja nebenbei, auch wenn ich vom Sport leben könnte (…). Millionen sind es nicht, das ist nicht unser Ding. Wir (Schwinger, d. Red.) leben mittelständisch bescheiden (…). Das Preisgeld würde nie zum Leben reichen. Christian Stucki, der Schwingerkönig, verdiente mit seinem Sieg am Eidgenössischen 30'000 Franken – ein rechter Lohn für zwei Tage Wettkampf. Was dahintersteckt, sieht man nicht: die vielen Schwingkeller-Besuche, Massagen, die Fahrten ins Training, das Essen … Wir sind oft viel von zu Hause weg.
… den verlorenen Schlussgang beim Eidgenössischen in Zug.
In dem Moment bist du im Tunnel. Du denkst: Jetzt gehe ich da rein und zerre, reisse, was immer geht (…). Auch Stucki hat eine Lücke. Jeder hat sie, jeder kann verlieren. Meine Taktik war, ihn zu bearbeiten, abzuwarten, bis er müde wird und angeschlagen ist. Dann wollte ich angreifen, voll ziehen, bis ich ihn habe.
… böse Briefe.
Es ist sehr schwierig, nicht mitzugehen, nicht aufzuspringen und mitzujubeln. Es gibt Leute, die schauen nur auf das, weil es als unsportlich gilt. Beim Unspunnenfest 2017 überkam es mich. Ich hatte Freude, weil ich einen Kampf gewonnen hatte. Ich war zwanzig, und ich meinte es nicht böse. Ich bekam ein paar schlimme E-Mails und Briefe, dich mich schon trafen. Seither nehme ich mich zurück, putze dem Kameraden den Rücken ab. Erst dann freue ich mich.
… Michael Jordan.
Die Serie über Michael Jordan habe ich gut gefunden. Seine Art ist fast wie meine und die von Dani Hüsler, meinem Trainer. Als ich ihn trainieren sah, wie er ehrgeizig ist, musste ich sagen: «Gopferdelli, der Cheib hat recht! So möchte ich auch trainieren.» Er gab immer Vollgas, pushte jeden einzelnen Mitspieler.