Übrigens – die Kolumne
In der Wüste der Hoffnung

Die WM in Katar naht. Wer träumt, wer hofft, wer schläft? Und auf welcher Matratze? Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 09.10.2022 um 20:26 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2022 um 13:19 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

Als Gianni Infantino den Job als Boss des Weltfussballverbands Fifa übernimmt, passt er sich den Gepflogenheiten auf dem Zürichberg blitzartig an. Er bestellt gleich ein Fitnessgerät für 8832 Franken. Dazu Blumen für 860 Franken. Und eine neue Matratze für den gesunden und tiefen Mittagsschlaf. Für 11'440 Franken.

Mittlerweile schläft Infantino mehrheitlich im arabischen Raum. Wohl auf einer Kamelhaar-Matratze mit Gold-Ornamenten. Auch ein schlechtes Gewissen kann ein sanftes Ruhekissen sein. Man muss nur weich genug liegen.

Infantino sucht die Nähe zu den Scheichs und zu den sprudelnden Öl- und Geldquellen. Er flüchtet vor den kritisierenden und nörgelnden Europäern und hat seinen Lebensmittelpunkt nach Katar verlegt. Und wird, nach dem Pakt mit dem Goldesel, auf seiner Kamelhaar-Matratze dem ruhigen Schlaf des Ahnungslosen frönen. Augen zu und durch.

Natürlich: Es war nicht die Schnapsidee Infantinos, eine Fussball-WM nach Katar zu vergeben. Diese Suppe haben ihm andere eingebrockt. Irritierend ist nur, wie genüsslich er sie auslöffelt.

Aber jetzt kommt sie halt, diese ungeliebte Winter-WM. Und mit ihr die grossen sportlichen Erwartungen. Auch in unseren Breitengraden beginnt die Träumerei vom grossen Coup. Wie überall. Einmal mehr lautet das helvetische Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Es soll die Krönung der Generation Vollmundig werden. Das Turnier ohne Grenzen. Mit einem Kern an Spielern, die vor 13 Jahren erfahren haben, wie es ist, Weltmeister zu werden. Bei der U17-WM in Nigeria.

Der Haken daran: Gehofft wird überall auf der Welt. Auch wenn es empirisch noch nicht erhoben ist: Bei Gruppengegner Brasilien gehen 100 Prozent der Menschen davon aus, dass die Seleção die Gruppenphase übersteht. 99 Prozent sind in Brasilien sicher, dass ihr Team mindestens in den Final kommt. 98 Prozent sind überzeugt, dass der Titelgewinn mehr oder weniger eine Formsache ist.

In Kamerun geht man wohl zu 95 Prozent davon aus, dass man die Gruppenphase übersteht und mindestens die Viertelfinals erreicht. In Serbien (Achtung, Geheimfavorit!) ist die Erwartungshaltung ähnlich. Und in allen anderen Gruppen ebenso.

Wohl 28 der 32 Teilnehmer träumen von den Viertelfinals. Wenn man das vorhandene Potenzial ausschöpft. Aber es gibt halt nur acht Plätze. Man rechne.

Darum: der Fussball ist auch die grosse Plattform für das Prinzip Hoffnung. Wie die Börse, wie das Casino, wie das Standesamt. Und der Fussball ist wie jedes andere Glücksgeschäft geprägt von geplatzten Träumen.

Auf der Wiese der Hoffnung weiden viele Narren. Dieser Kalauer wird neu formuliert. Jetzt heisst es: In der Wüste der Hoffnung weiden viele Narren. Auch wenn dort kein Gras wächst.

Einzig in Italien und in Österreich steht man vor einem realistischen Winter. Eine persönliche Umfrage hat ergeben, dass dort niemand eine Viertelfinalqualifikation erwartet.

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