Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Fischer ist der Bundesliga-Trainer des Jahrzehnts

Union Berlin ist eine europäische Top-Adresse geworden. Dank Urs Fischer. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 04.09.2022 um 20:27 Uhr
|
Aktualisiert: 04.09.2022 um 21:26 Uhr
1/2
Fischt aktuell Punkt um Punkt: Union-Coach Urs Fischer.
Foto: Instagram

Früher, als mein Vater noch jünger war, hat er jeweils vom Altweibersommer gesprochen, wenn sich im September die Sonne gezeigt hat. Aber von einem Altweibersommer oder einem Indian Summer darf man in diesen Tagen ja nicht mehr reden, ohne sich um Kopf und Kragen zu bringen. Oder sich einem gehörigen Shitstorm auszusetzen.

Auch früher in der DDR musste man mit der Wortwahl vorsichtig sein. Damals hat die Staatssicherheit hinter jeder Ecke gelauert und der freundliche Nachbar hat sich plötzlich als Spitzel entpuppt. Auch damals musste man jedes Wort auf die Goldwaage legen. Das hat dafür gesorgt, dass die Menschen halt kreative Lösungen gesucht haben, um ihre Meinung kundzutun.

Das haben auch die Fans von Union Berlin so gemacht. «Die Mauer muss weg», haben sie jeweils in der Alten Försterei geschrien, wenn in der Nähe des Strafraums ein Freistoss gepfiffen wurde und sich die Spieler zu einer Mauer formiert haben. Dies den Menschen aus dem Stadtteil Köpenick als politisches Statement nachzuweisen, war selbst für die Stasi ein schwieriges Unterfangen.

Den Freiheitsgeist und die Aufmüpfigkeit aus den Zeiten des Kalten Krieges haben die Unioner nicht verloren. Diesen Geist leben sie auch beim mittlerweile zum Kult gewordenen Klub weiter. Es gibt keine Grossinvestoren, das Stadion, dessen Kapazität bald auf 37'000 Plätze erhöht werden soll, ist zu einem Teil im Besitze der Fans. 2000 Helfer waren beim letzten Umbau dabei. Heute kommen Fussballfans aus allen Ländern, um auf den Stehplätzen in der Alten Försterei Teil des Kults zu sein. Denn Union befindet sich seit Jahren nicht in einem Altweibersommer, sondern in einem endlosen Fussballfrühling.

In einem derartigen Allzeithoch, dass man in Zusammenhang mit Union Berlin von einem europäischen Topklub sprechen muss. Und der «Tätschmeister» ist einer, der eigentlich lieber am Sihlsee fischen würde, statt in Berlin auf Händen durch die Stadt getragen zu werden.

Was Baumeister Urs Fischer mit diesem Klub in den letzten Jahren erreicht hat, ist phänomenal. Es gibt kaum einen anderen Schweizer Trainer, der einen Verein derart nachhaltig von einer grauen Maus zu einer sportlichen Vorzeigeorganisation entwickelt hat.

Zusammen mit Christian Streich vom SC Freiburg ist Fischer der Bundesliga-Trainer des Jahrzehnts. Authentisch, kompetent, geerdet. Mit klarem Kompass und klarem Wertesystem.

Union Berlin und der SC Freiburg sind Vereine, die sich wohltuend vom überdrehten und überhitzten System abheben. Klubs mit einer klaren DNA und zwei Trainern, die so wohltuend sind in diesen Zeiten.

Sie kaufen keine Stars zu irrsinnigen Beträgen. Sie machen sich die Stars selber. Und eigentlich sind die beiden Trainer selber längst Superstars. Aber das darf man nicht sagen.

Sonst sind sie beleidigt!

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?