Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Dieser Mann hat Stucki mit einer Hand besiegt

Andreas Werren sorgt für eine der bewundernswertesten Geschichten im Schweizer Sport. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 24.07.2022 um 20:37 Uhr
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Aktualisiert: 25.07.2022 um 08:08 Uhr
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Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

Ob Christian Stucki seinen Königstitel in Pratteln verteidigen kann, ist eine der brennenden Fragen, wenn Ende August das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest stattfindet. Unabhängig davon wird Stucki als einer der charismatischsten Könige in die Geschichte eingehen.

Seit seinem Bruderkuss auf die Stirn von Sieger und Schwingerkönig Matthias Sempach nach dem Schlussgang 2013 in Burgdorf ist er bereits König der Herzen, sechs Jahre bevor er den sportlichen Titel selber gewinnt. Seine Fairness, sein Schalk, seine Persönlichkeit prägen den Schwingsport seit Jahren.

Auch der Bergbauer Andreas Werren wird gespannt nach Pratteln schauen. Werren ist einer der wenigen Schwinger, die für sich in Anspruch nehmen können, den Hünen Stucki bezwungen zu haben. Am Berner Kantonalen im Jahre 2000 gelingt es Werren, den blutjungen Stucki ins Sägemehl zu betten.

Das schier Unglaubliche an dieser Geschichte: Werren gelang dieses Kunststück mit nur einer Hand. Der Berner ist mit diesem Geburtsfehler auf die Welt gekommen. Mit der rechten Hand hat er jeweils am Gurt des Gegners Griff gefasst, den linken Stummel hat er, soweit es ging, unter die Zwilchhose des Kontrahenten geschoben und so einen gewissen Halt gefunden. Werren hat so sieben Kränze gewonnen und war an drei Eidgenössischen Schwingfesten dabei.

Von Kindsbeinen an hat er den Grundsatz gelebt, dass nur behindert ist, wer sich behindern lässt. Seine Mutter wollte immer, dass er eine Plastikhand trägt, weil das besser aussieht. Die hat er jeweils in den Schulsack gesteckt und nie getragen. Aber schon damals hat er seine Mitschüler beim Schwingen im Sandkasten herausgefordert.

Auch die Bedenken, dass der harte Schwingsport für ihn zu gefährlich sein könnte, hat er schon als Jungschwinger zerzaust. Und so eines der bemerkenswertesten Kapitel der Schweizer Schwinggeschichte geschrieben.

2001 ist Andreas Werren zurückgetreten. Bereits vor dem Eidgenössischen 2016 in Estavayer hat er in einem Blick-Interview gesagt: «Ich würde mich riesig freuen, wenn Christian Stucki König werden würde.» Sein Wunsch ist drei Jahre später in Erfüllung gegangen.

Und Werren ist damit der einarmige Schwingerkönig-Besieger. Und ganz sicher ein König des Schweizer Sports.

Der Berner erinnert mit seiner Geschichte an den legendären Stuttgarter Fussballer Robert Schlienz. Schlienz verunfallt 1948 mit seinem Auto. Das Fahrzeug kippt, sein linker Arm, den er aus dem Fenster gehalten hat, wird abgequetscht.

Trotzdem wird Schlienz als einarmiger und dennoch torgefährlicher Stürmer mit dem VfB Stuttgart zweimal Meister und geht als einer der besten VfB-Spieler aller Zeiten in die Annalen ein. Jahre nach seinem Unfall wird er von Sepp Herberger dreimal für die Nationalmannschaft nominiert.

Eine der grössten Legenden des deutschen Fussballs ist 1998 mit 71 Jahren nach einem Herzinfarkt gestorben.

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