Pratteln ist an diesem Wochenende der Nabel der Schweiz. Eine ganze Nation schaut gespannt in die Basler Vorortsgemeinde, die mit einem Ausländeranteil von 40 Prozent ein Schmelztiegel der Nationen ist.
Das sportliche und der Tradition verpflichtete grösste Fest des Landes muss dabei wieder einmal für allerlei Sehnsüchte herhalten. Die Wiederentdeckung des Vaterländischen, die Suche nach Wurzeln im globalen Wirrwarr haben dem Schwingen vor zwanzig Jahren zu ungeheurer und anhaltender Popularität verholfen.
Doch mittlerweile wird der «Mythos» Schwingen gerade in diesen Tagen in schwülstigen Essays wieder überhöht und viel zu bedeutungsschwanger verklärt.
In erster Linie ist es ganz einfach ein fairer, faszinierender und spektakulärer Kampfsport mit gelebter Kameradschaft und einem fast ausschliesslich fairen und freiheitsliebenden Publikum.
Das Schwingervolk ist bodenständig und eher konservativ. Aber ganz sicher nicht hinter den sieben Bergen zu Hause. Auch da gibt es noch immer zuhauf Klischees und Schubladisierungen.
Ganz viele junge Menschen auch aus urbanen Kreisen entdecken die Schwingfeste als Kraftorte mit einer wohltuend gelassenen Atmosphäre und bester Unterhaltung.
Darum ist es enttäuschend, dass einige «Fans» Shqipe Sylejmani, die aus Pratteln stammende kosovarisch-stämmige Botschafterin des Eidgenössischen, mit Schmähkommentaren eingedeckt haben. «Ich möchte mit meinem Engagement der Schweiz Danke sagen. Aber gewisse Reaktionen haben mich schon sehr verletzt», sagt sie in einem TV-Beitrag.
Das Schwingen ist keine Trutzburg. Schon gar keine heile Welt. Neid und Missgunst und alles andere, was es an menschlichen Abgründen noch gibt, macht auch am Sägemehlring nicht halt.
Und gerade dieser Sport befindet sich seit vielen Jahren in der Findungsphase zwischen Tradition und Moderne. Dass es da noch viel zu tun gibt, zeigen die unflätigen Reaktionen gegenüber einer Botschafterin des ESAF.
Ein wenig vom Geist von Josephine Baker täte gewissen «Schwingerfreunden» gut.
Josephine Baker (1906–1975) wächst in ärmlichen Verhältnissen in Missouri als Tochter einer Waschfrau und eines Musikers auf. Mit 13 Jahren wird sie verheiratet, mit 17 Jahren folgt die zweite Ehe. Der Rassismus ist ihr ständiger Begleiter.
Aber sie macht als Tänzerin Weltkarriere, zieht nach Frankreich, schliesst sich der Résistance gegen Nazi-Deutschland an. Sie adoptiert später zwölf Waisenkinder. Die kommen unter anderem aus Korea, aus Finnland, aus Japan, aus Marokko, aus Kolumbien, aus Kanada oder aus Venezuela.
Sie will Kinder aus allen Teilen der Welt mit unterschiedlichsten Hautfarben und vielfältigsten Wurzeln. Es ist ihre Antwort auf das, was sie erlebt hat.