Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Jarmila Kratochvilova

Weniger flächendeckendes Doping ist ein Grund für den Höhenflug der Schweizer Leichtathletik. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 22.08.2022 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2022 um 13:51 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

Die Schweiz ist im Leichtathletik-Fieber. Und es ist tatsächlich phänomenal, wie sich diese olympische Kernsportart in unserem Land entwickelt hat.

Bei den Olympischen Spielen vor einem Jahr standen zwei Frauen im Final über die Königsdisziplin 100 Meter. Das gehört zu den herausragendsten Momenten der Schweizer Sportgeschichte. Und die Frauen brillieren auch in München.

Aber jetzt ziehen auch die Männer nach. Zwei Schweizer im Final über vierhundert Meter. Einer gewinnt sensationell Silber. Zwei Schweizer im Final über 110 Meter Hürden. Jason Joseph wird Vierter. «Ich wollte Gold», sagt er. Aus diesem Holz sind Sieger geschnitzt. Mit Simon Ehammer gibts einen Kronprinzen und wohl bald neuen König im Zehnkampf. Glanzpunkte zuhauf.

Als junger Sportjournalist hat man in den 80er-Jahren jeweils nach dem Kugelstossen die Grossanlässe in der Leichtathletik abgehakt. Kugel-Werni war lange Zeit der Einzige mit Medaillenchancen. Dass man ihn damals nach einer Rückenoperation mit Anabolika aufgepäppelt hat, konnte man nicht wissen.

Reichlich naiv hat man damals zugeschaut, wie beispielsweise bei den Frauen Jarmila Kratochvilova und Marita Koch allen um die Ohren gelaufen sind. Und Rekorde aufgestellt haben, die nie mehr angetastet worden sind. Kratochvilova, muskelbepackt wie in dieser Zeit nur Sylvester Stallone in den Rocky-Filmen, hält noch immer den Weltrekord über 800 Meter. Einmal in der Woche habe sie Spritzen bekommen. Vitaminspritzen. Hat sie später gesagt.

Das flächendeckende Doping in der DDR und im Ostblock zwecks Staatspropaganda gehört zu den traurigsten Kapiteln im Sport. Versuchskaninchen im Namen des Staates. Kugelstösserin Heidi Krieger wurde so lange mit Testosteron vollgepumpt, bis sie ein Mann war. Und heute nach einer Geschlechtsumwandlung Andreas Krieger heisst. Die Dimension des Dopingmissbrauchs (nicht nur im Ostblock) hat man damals nicht einmal ansatzweise erahnt.

Dass die Schweiz plötzlich eine Leichtathletik-Nation geworden ist, hat verschiedene Gründe. Neben der guten Arbeit an der Basis und beim Verband hat das Thema Doping sicher etwas damit zu tun. Es wird, vor allem in Osteuropa, nicht mehr derart flächendeckend und schamlos gedopt wie einst.

Und ein zweiter Grund ist ganz sicher auch die Migration. Die Zuwanderung in die Schweiz ist ein Booster für den Schweizer Sport. Für den Fussball und viele andere Sportarten. Vor allem auch für die Leichtathletik.

Alles Gründe, dass man fasziniert und entzückt nach München schauen durfte. Mitten in der internationalen Spitze sorgt die Schweizer Leichtathletik für Glanzpunkte.

Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, muss man vorsichtig sein. Ganz «sauber» ist der Sport auch in unserem Land längst nicht, wie gerade der Fall Mathias Flückiger zeigt.

Aber zumindest Jarmila Kratochvilovas gibt es keine mehr.

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