Giorgia Meloni vor dem Sieg in Italien
Die Faschistin, die keine sein will

Die Anführerin der «Fratelli d'Italia» greift nach der Macht. Fabian Eberhard, Recherche-Chef beim SonntagsBlick und Experte für Rechtsextremismus, ordnet ein – und warnt.
Publiziert: 24.09.2022 um 18:54 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2022 um 22:19 Uhr
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Giorgia Meloni, die Chefin der rechtsextremen Partei «Fratelli d'Italia», greift zur Macht.
Foto: imago/Pacific Press Agency
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Noch bangt Europa leise, dabei steht es schon beinahe fest: Die radikale Rechte dürfte dieses Wochenende bei den Wahlen in Italien triumphal siegen. Giorgia Meloni (45), die Chefin der Fratelli d'Italia, der «Brüder Italiens», greift nach der Macht.

Wie gefährlich ist diese Frau? Internationale Kommentatoren werden nicht müde zu betonen, Meloni sei keine Faschistin – nationalkonservativ zwar, aber sie stehe auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaats. Als müssten sie sich selbst beruhigen, angesichts der Tatsache, dass demnächst eine Rechtsextremistin eines der wichtigsten EU-Länder regieren könnte.

Den Faschismus habe man «der Geschichte übergeben», behauptet Meloni heute. Als 19-Jährige sagte sie noch: Der «Duce», Benito Mussolini, sei «ein guter Politiker» gewesen. «Alles, was er getan hat, hat er für Italien getan.»

Machen wir uns nichts vor: Meloni ist die Anführerin einer neofaschistischen Bewegung. Zu ihren Anhängern gehören gewaltbereite Neonazis, von denen sie sich nur halbherzig distanziert.

Mehr noch: Oft sind es Parteikader der Fratelli d'Italia, die mit rechtsextremen Entgleisungen auffallen. Wie an jenem Abend im Herbst 2019, als hochrangige Parteifreunde von Meloni zum Jahrestag des Marschs auf Rom ein grosses Diner veranstalteten. Der Marsch stand am Beginn von Mussolinis Diktatur. Im Oktober ist es genau 100 Jahre her.

Es sind Vorfälle wie in Verona, wo die radikale Jugendorganisation der Partei des Waffen-SS-Standartenführers Léon Degrelle gedachte. Oder auf Sizilien, wo ein Kandidat der Fratelli seine Vorsitzende Meloni bewundernd mit Adolf Hitler verglich. Und zuletzt vor wenigen Tagen in Mailand, wo ein Regionalpolitiker der Partei – ausgerechnet der Bruder des Mitbegründers der Fratelli – den Arm zum Faschistengruss reckte.

Einer, der solche Vorfälle publik macht, ist Paolo Berizzi, der wichtigste Experte für Neofaschismus in Italien. Er muss Tag und Nacht von Polizisten bewacht werden. Meloni strebe eine undemokratische, illiberale Gesellschaft an, warnt Berizzi: «Wenn sie an die Macht kommt, dann heisst das, dass die Faschisten ihre Revanche über die Geschichte haben.»

Meloni ist eine Erbin des Duce. Die mangelnde Abgrenzung zum historischen Faschismus gehört zur DNA ihrer Partei. Kein Wunder, weigert sie sich, das Logo der Fratelli d’Italia zu verbannen, eine Flamme in den Nationalfarben, die über Mussolinis Sarg lodert. Meloni ist eine Faschistin, die keine sein will.

Und Europa bangt leise. Zu leise.

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