Der Marsch auf Rom führt über viele Städte Italiens. Mailand, Turin, Mestre, Genua, Bari, Neapel. Überall strömen sie zu Tausenden auf die Piazza. Zuletzt am vergangenen Sonntag in Caserta. Die Menschenmassen jubeln, schwenken Fahnen. Die aufgenähte Flamme in Italiens Farben Grün, Weiss, Rot flattert über den Köpfen. Für viele stellt sie das ewige Licht am Grab des Diktators Benito Mussolini dar.
«Giorgia, Giorgia!», ruft die Menge. Auf der Bühne tänzelt Giorgia Meloni (45) im Rhythmus der Sprechchöre. Die Vorsitzende der Fratelli d'Italia, der «Brüder Italiens», ist im Endspurt ihres Wahlkampf-Marathons. Heute entscheidet das Volk über die kommende Regierung in Rom. Die neofaschistische Partei führt mit gut 25 Prozent die Umfragewerte an. Im Bündnis mit der Lega Nord und Berlusconis Forza Italia könnte Giorgia Meloni sogar der erste weibliche Premier Italiens werden. Ihr politisches Mantra in diesen Tagen: Italien den Italienern!
Ganz ungeniert werden Souvenirs vom «Duce» verkauft
Das hört man gern in Predappio (I). Der 6000-Einwohner-Ort in der Emilia Romagna ist der Geburtsort von Benito Mussolini. Hier wurden der Diktator und seine Familie auch bestattet. Das Elternhaus ist ein Museum. Die Familiengruft gleicht einer Pilgerstätte. Ganz ungeniert stellen die Souvenirläden entlang der Hauptstrasse Büsten des «Duce» in die Auslage. Sein Konterfei ziert die Etiketten der Rotweinflaschen. Es gibt Kriegsmünzen, T-Shirts in den Farben der Tricolore, klotzige Ringe mit eingraviertem Rutenbündel, dem Siegel der Faschisten. Aber auch Wimpel mit Hakenkreuz sind im Angebot.
Im Oktober vor 100 Jahren übernahm Benito Mussolini im sogenannten «Marsch auf Rom» die Macht in Italien (die Schreckensherrschaft hielt bis 1943). Auch dieses Jubiläum lockt Touristen. Vielleicht mehr denn je. «Wir werden siegen», sagt Franco Frassineti (80) mit Nachdruck. Der Schneider hat seinen Laden gleich neben einem der Andenken-Shops. Seit 70 Jahren näht er für die Kundschaft im Ort. Sein Herz schlägt rechts. «Giorgia Meloni wird 30 Prozent der Stimmen holen», prophezeit der Italiener, während er am Ärmel eines Sakkos die Heftstiche setzt. Seine Hoffnung allerdings ist, «dass Silvio Berlusconi in der Regierung die Strippen zieht».
«Nicht alles, was Mussolini gemacht hat, war schlecht»
Elisa Lombardi (46) steht hinter dem Tresen, hilft ihrem Sohn in seiner kleinen Strassenbar. Begeistert verfolgt sie am Bildschirm den Wahlkampf von Giorgia Meloni. «Ich bin sehr glücklich, dass sich endlich eine Frau um unser Land kümmert. Sie ist stark, entschlossen und mutig, und sie hat die richtigen Ideen.» Es müsse sich so vieles in Italien ändern, sagt Elisa Lombardi, das Land habe das Vertrauen in die Politik verloren. «Giorgia Meloni wird eine neue Richtung einschlagen.» Der Faschismus habe auch sein Gutes, sagt Elisa Lombardi: «Wenn er klare Regeln schafft – ich meine erzieherische Regeln, dann bin ich dafür. Nicht alles war schlecht, was Mussolini gemacht hat.»
Predappio habe mehr zu bieten als nur die historischen Stätten des «Duce», sagt Lucio Moretti (52). Der Lokalpolitiker der Fratelli d'Italia ist im Gemeinderat. «Wir haben unsere schönen Hügel, das gute Essen und unseren Wein. Viele im Ort seien es müde, immer nur auf die Sehenswürdigkeiten rund um Benito Mussolini reduziert zu werden. «Das Erbe mag unbequem sein», so Moretti, «es ist aber wichtig.» Der Faschismus dürfe nicht in Vergessenheit geraten.
Wenn schon kein «Duce», dann doch der «Cavaliere»
Die Villa Carpena im 16 Kilometer entfernten Forlì-Cesena wirkt wie aus der Zeit gefallen. Hinter einem hohen Eisentor zeigt Domenico Morosini (82) sein Reich. Ende der 90er-Jahre erwarb der ehemalige Pelzfabrikant das Anwesen des «Duce» von den Erben und machte daraus ein Museum. Die Küche, der Sitzungssaal, das Schlafzimmer mit der Uniform auf dem Bett. Alles liess der Mussolini-Anhänger so, wie es einst war. Verblasste Fotografien, Gemälde, Büsten des Diktators und 5000 Bücher zeigen Morosinis «Wahrheit» über diesen düsteren Teil der italienischen Geschichte. Die würde leider nicht in Italiens Schulen gelehrt, so der Mussolini-Fan.
Im Park stehen Statuen und Tafeln. Neben einem übergrossen Kopf des «Duce» bläht sich die verbotene Fahne der «Republik von Salò», eines nur wenige Monate währenden Satelliten-Staats der Deutschen in Norditalien. «Der Duce hat sein Volk geliebt. Er hat Italien viel gegeben. So eine Persönlichkeit gibt es nur alle 2000 Jahre», sagt Domenico Morosini und kratzt vorsichtig den Taubenkot von der gusseisernen Büste. «Giorgia Meloni? Nein, sie bringt nicht den Faschismus zurück. Die Jungen haben doch keine Ahnung.» Er wähle Silvio Berlusconi. Wenn schon kein «Duce», dann doch wenigstens der «Cavaliere».