Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi (74) ist zurückgetreten – und in der italienischen Politik bricht Chaos aus, obwohl der Rücktritt schon lange absehbar war. Am Mittwoch gewann Draghi zwar eine Vertrauensabstimmung, die wichtigsten Koalitionspartner waren dem Votum aber ferngeblieben. Danach ging er zu Staatspräsident Sergio Mattarella (80), der den Antrag für den Rücktritt annahm.
«Die Regierung Draghis zu Fall zu bringen, bedeutet, gegen Italien und die Interessen der Italiener zu sein», erklärte der Chef der mitregierenden Sozialdemokraten, Enrico Letta (55). «Von morgen an wird nichts mehr so sein wie davor», sagte Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi (47) von der Splitterpartei Italia Viva. Aussenminister Luigi Di Maio (36) befand, man habe die Zukunft der Italiener verzockt. «Die Folgen dieser tragischen Wahl werden in die Geschichte eingehen.»
Finito Draghi – wie konnte es so weit kommen?
Erst seit etwas über einem Jahr hat Draghi das Amt des Ministerpräsidenten inne und schon gibt er es wieder ab. Guido Cozzi, Professor für Makroökonomie an der Universität St. Gallen, erklärt gegenüber Blick: «Draghi hat keine politische Partei im Rücken, seine Regierung hat sich auf sein unglaubliches Vermittlungstalent verlassen.»
Das Kabinett Draghi rund um den parteilosen, aber als technokratisch eingestuften Ministerpräsidenten besteht aus sieben Regierungsparteien, die von (Rechts-)Populisten, über liberale Konservative bis zu Sozialdemokraten das ganze politische Spektrum beinhaltet. Uneinigkeiten waren vorprogrammiert.
Und je näher die Wahlen rückten, desto schwieriger wurde es für die Parteien, sich auf ihre Identität in der italienischen Regierung zu einigen, so Cozzi. «Daher endete der Schlichtungsversuch so spontan.» Zurück bleiben Verwirrung, Frust und ein Ministerpräsidentenamt, das besetzt werden muss.
Jung, erfolgreich, faschistisch – wer ist Anwärterin Giorgia Meloni?
Und hier kommt eine Frau ins Spiel, die Draghis Fall nicht nur erwartet hat, sondern aktiv daraufhin gearbeitet hat: Giorgia Meloni (45), die Chefin der Partei Fratelli d'Italia. «Wenn alles gut geht, dann wird binnen zwei Monaten gewählt werden können. Wir sind bereit», sagte die Politikerin der in Umfragen aktuell vorne liegenden Partei in Rom.
Faschistisch, rechtsextrem, populistisch: So wird Melonis Partei beschrieben. Gesellschaftspolitisch stehen sie im ultrakonservativen Spektrum, mit homophoben Tendenzen. Meloni selbst hat nach eigenen Angaben ein «unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus». In ihrer frühen politischen Karriere war sie Mitglied der neofaschistischen Parteien, der Movimento Sociale Italiano und der faschistischen Nachwuchsbewegung Fronte della Gioventù.
Unter Silvio Berlusconi (85) ging Meloni 2008 in die italienische Geschichte ein und wurde mit nur 31 Jahren die jüngste Ressortleiterin (Jugend und Sport) in der Geschichte des Landes. Aus Unzufriedenheit über Berlusconis Führungsstil gründete sie 2012 zusammen mit Ignazio La Russa (75) und anderen die Partei Fratelli d'Italia, zu deren Vorsitzenden sie 2014 gewählt wurde. Seit 2022 gilt die Politikerin als wichtige Hoffnungsträgerin der italienischen Faschisten.
Ein Italien mit rechtsextremer Regierung – ist es möglich?
Innert vier Jahren hievte Meloni ihre Partei in den Umfragen an die Spitze. Die Fratelli liegen bei aktuell 22 Prozent, bei den Wahlen 2018 lagen sie noch bei 4,8 Prozent. Grund für den Erfolg der Fratelli ist laut Guido Cozzi, dass die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung durch die Unterstützung von Draghi ihre Wähler verärgert und somit an die Fratelli verloren haben.
Meloni als Premierministerin – nicht ganz unwahrscheinlich. Aber: «Ich glaube nicht, dass sie es ohne eine weitere Koalitionsregierung schaffen wird. Der neue Premierminister – oder die neue Premierministerin – wird weniger weit rechts stehen als ihre Partei», beschwichtigt Cozzi. «Alles wird davon abhängen, wie sich die anderen Parteien, die ihrer Koalition beitreten, entscheiden werden.»
Einen baldigen Austritt aus der EU sieht Cozzi nicht in Italiens Zukunft, auch wenn die europäischen Visionen von Meloni und Draghi fundamental unterschiedlich seien. Wo es allerdings zu grossen Veränderungen kommen könnte, sei die Ukraine-Politik Italiens. Cozzi erklärt: «Italien ist eines der russlandfreundlichsten Länder in der EU. Und der Erfolg von Meloni ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Draghi die Italiener aufgefordert hat, ihre Klimaanlagen abzuschalten, um Putin zu bestrafen.»