«In diesem Land gibt es genug Geld für gute Renten»
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Gewerkschaftsboss Maillard:«In diesem Land gibt es genug Geld für gute Renten»

Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard spricht Klartext
«Eine AHV-Reform gegen die Frauen ist eine Frechheit!»

Die Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente steht! 137'000 Unterschriften sind derzeit beisammen. Damit machen die Gewerkschaften auch Druck in der Diskussion über die AHV-Reform. Ein höheres Frauenrentenalter kommt für sie nicht in Frage.
Publiziert: 21.05.2021 um 01:48 Uhr
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Aktualisiert: 21.05.2021 um 06:56 Uhr
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Im März 2020 lancierten die Gewerkschaften ihre Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Nun ist klar: Die Initiative steht – derzeit sind 137'000 Unterschriften beisammen.
Foto: keystone-sda.ch
Pascal Tischhauser und Ruedi Studer

Es ist das grosse Thema der Sommersession: die AHV-Reform. Ein Thema, bei dem auch SP-Nationalrat und Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (53) ein gewichtiges Wort mitreden wird. Umso mehr, als sein Gewerkschaftsbund eine eigene Volksinitiative im Köcher hat. Blick trifft den Waadtländer in der Gewerkschaftszentrale in Bern zum Interview.

Blick: Herr Maillard, werden Sie mit Ihrer Blockadehaltung bei der AHV-Reform zum Totengräber des Sozialwerks?
Pierre-Yves Maillard
(lacht): Nein. Wir wollen keine Blockade, sondern eine Weiterentwicklung der AHV. Aber nicht mit einem höheren Rentenalter, sondern mit einer 13. AHV-Rente.

Kommt die Initiative zustande?
Ja, wir haben 137'000 Unterschriften gesammelt und werden die Initiative nächstens einreichen. Dass die Initiative trotz Corona-Pandemie so rasch zusammengekommen ist, zeigt den Leidensdruck der Menschen.

Ihre Initiative würde die AHV Milliarden kosten und in den Ruin führen.
Seit Jahren hören wir dieselbe Angstmacherei, dass der AHV das Geld fehle. Dabei ist genügend Geld vorhanden! Die Nationalbank hat allein im ersten Quartal dieses Jahres 38 Milliarden Franken Gewinn gemacht – damit wäre unsere Initiative für zehn Jahre finanziert.

Die Nationalbank ist kein Selbstbedienungsladen und die Gewinne sind nicht ewig garantiert.
Die Nationalbank schreibt seit Jahren Gewinne. Diese gehören dem Volk. Allein die Ausschüttungsreserven betragen Ende Jahr gegen 150 Milliarden Franken. Damit wäre die AHV-Finanzierung für 30 Jahre gesichert – inklusive Babyboomer-Generation. Eine andere Option wäre die Erhöhung der Lohnbeiträge um ein Prozent alle zehn Jahre. Dank der Arbeitgeberbeiträge würden aus jedem Franken, den Arbeitnehmende einzahlen, zwei Franken.

2016 ist die AHV-plus-Initiative klar gescheitert, die die AHV-Renten um zehn Prozent erhöhen wollte. Die neue Initiative ist doch eine Zwängerei.
Die AHV-Renten würden nur um acht Prozent erhöht. Dabei hat sich die Rentensituation seit der letzten Abstimmung nochmals massiv verschärft. Im Schnitt beträgt die Rente aus AHV und Pensionskasse rund 3400 Franken. Doch die Leistungen der Pensionskassen schmelzen weiter weg. Eine CS-Studie von 2019 zeigt: Wer 2025 in Pension geht, hat mit dem gleichen Kapital 20 Prozent weniger Rente aus der zweiten Säule als 2010. Diese Situation ist unerträglich. Unsere Initiative soll das abfedern.

Sie träumen von einem AHV-Ausbau. Bei der AHV-Reform läuft es aber auf ein höheres Frauenrentenalter hinaus. Wir werden immer älter – warum nicht länger arbeiten?
Ein Beispiel: Rund 40 Prozent der Arbeitnehmenden sind bei der Kinderbetreuung auf die Hilfe der Grosseltern angewiesen. Müsste man diese Leistung entlöhnen, würde sie acht Milliarden Franken kosten. Wird das Frauenrentenalter erhöht, fehlen die Grossmütter ein Jahr lang bei der Enkelbetreuung. Das kostet die Arbeitnehmenden schnell Hunderte von Millionen Franken. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt.

Nämlich?
Wenn jedes Jahr 50'000 Frauen ein Jahr länger arbeiten, fehlen Arbeitsplätze für die Jungen. Ein höheres Frauenrentenalter bringt höhere Jugendarbeitslosigkeit. Das macht finanziell keinen Sinn.

Das gleiche Rentenalter für Mann und Frau ist doch ein Schritt zu mehr Gleichberechtigung.
Wenn Frauen insgesamt die gleiche Rente erhalten wie Männer und sie gleich viel verdienen, können wir darüber reden. Die Realität sieht aber anders aus: Die Frauen haben im Schnitt eine halb so hohe Rente aus der Pensionskasse wie die Männer. Nimmt man die AHV hinzu, beträgt das Minus immer noch ein Drittel. Die Wut der Frauen ist riesig, das hat der Frauenstreik gezeigt. Solange diese Diskriminierung nicht beendet wird, ist eine AHV-Reform gegen die Frauen eine Frechheit!

Im Parlament zeichnet sich bei der AHV-Reform ein bürgerlicher Kompromiss ab. Warum torpedieren Sie diesen mit unzähligen Anträgen? Er kommt sowieso.
Es ist unsere Aufgabe, uns gegen Rentenabbau einzusetzen. Aber Sie haben recht, die Bürgerlichen werden das höhere Frauenrentenalter rücksichtslos durchdrücken und sie planen schon die nächste Rentenalter-Erhöhung.

Und Sie planen bereits ein Referendum?
Natürlich! Eine Rentenalter-Erhöhung ist schlicht eine Dummheit, solange wir Probleme mit Jugendarbeitslosigkeit und bei älteren Menschen haben, die nach einem Stellenverlust nie mehr einen Job finden. Wir haben innert weniger Tage über 300'000 Unterschriften für unseren Appell «Hände weg von den Frauenrenten» gesammelt. Wir sind parat!

Beim Rententhema sind Sie bei den Leuten, beim Rahmenvertrag gelten die Gewerkschaften eher als Bremsklotz. Ist mit Ihnen kein Europa zu bauen?
Nicht auf Kosten der Arbeitnehmenden! Ich habe kein Problem, wenn das Volk über das Rahmenabkommen entscheiden würde. Jedoch verstehe ich die Forderungen nicht, dass Bundesrat und Parlament das Abkommen gutheissen sollen, egal was sie darüber denken. Einfach nur, damit das Volk abstimmen kann.

Es gibt ja Pläne für eine Initiative zum Rahmenabkommen.
Wenn der Bundesrat feststellt, dass die Verhandlungen nicht weitergehen können, bleibt den Befürwortern natürlich diese Möglichkeit. Aber ein rascher Entscheid des Bundesrats würde das Theater über das gefährliche Abkommen endlich beenden. Doch egal, wann der Entscheid kommt, für die Gewerkschaften ändert sich nichts: Wir lehnen diesen Abkommenstext dezidiert ab. Denn deutsche Firmen wollen so den Schweizer Lohnschutz abwürgen und ihn so ineffizient wie möglich gestalten. Es geht ihnen nur darum, mit deutschen Billigarbeitern hiesige Betriebe zu unterbieten.

Das sagen Sie!
Nein, das sagt der deutsche Botschafter Michael Flügger. Für ihn ist unser Lohnschutz ein «Ärgernis». Herr Flügger könnte auch die Haltung haben, dass deutsche Arbeitnehmende bei Aufträgen in der Schweiz zwingend hiesige Löhne bekommen müssen. Das wäre fair! Aber diese Frage interessiert ihn offenbar nicht. Wir hingegen verteidigen die Interessen der Arbeitnehmenden auf beiden Seiten der Grenze. Lohndumping schadet allen, auch den KMU in der Schweiz.

Rechnen Sie bei einem Nein denn nicht mit düsteren Zeiten für unser Land?
Die Zukunft vorherzusagen, ist schwierig. Es gibt Wirtschaftsverbände, die vor einer Katastrophe warnen, und es gibt andere, die das Gegenteil sagen. Die grosse Gefahr für die bilateralen Verträge war die Begrenzungsinitiative der SVP. Diese hat das Volk klar abgelehnt, und damit hat es Ja zur Personenfreizügigkeit und zu den flankierenden Massnahmen gesagt. Ich weiss nicht, in wie vielen EU-Ländern das Volk gleich entschieden hätte. Das zeigt: Unsere Bevölkerung steht zu Europa und zum schweizerischen Lohnschutz.

Trotzdem kommen wir bei der Absicherung der Bilateralen auf keinen grünen Zweig.
Weil Brüssel nicht anerkennen will, dass eine vierköpfige Familie bei uns am ersten Tag eines Monats schon mindestens 3500 Franken für Miete und Krankenkasse et cetera bezahlt haben muss, ohne in diesem Monat auch nur ein Pfund Spaghetti gekauft zu haben. Darum verteidigen wir unsere Löhne.

Was ist Ihr Plan B, wenn der Bundesrat den Rahmenvertrag ablehnt?
Juristisch gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die Bilateralen sind in Kraft oder sie sind es nicht. Anders als bei einem Ja zur SVP-Begrenzungsinitiative gelten sie nach einem Nein zum Rahmenabkommen weiterhin. Natürlich können wir der EU mit mehr Solidarität und der Auszahlung von noch verbesserten Kohäsionsbeiträgen unsere Treue zeigen. Und wo es Probleme gibt, können wir eigenständig Gesetzesanpassungen vornehmen. Doch eines möchte ich zum Abschluss noch sagen.

Was denn?
Viele, die sich sofort für das Abkommen ausgesprochen haben, haben den Text nie gelesen – vielleicht weil er am Anfang nur auf Französisch vorlag. Sobald ich den Text gelesen hatte, war mir sonnenklar, dass er kaum eine Chance hat. Schon nur die Zeilen über das prinzipielle Staatsbeihilfenverbot sollten jeden Föderalisten und auch jeden Sozialdemokrat auf die Barrikaden gehen lassen. Machen wir also kein Theater. Es geht nicht um Sein oder Nichtsein. Wir sind nicht bei «Hamlet». Es geht bloss um eine Übung, die gescheitert ist. Steigen wir endlich von diesem toten Pferd.

Der Gewerkschaftsboss

Pierre-Yves Maillard (53) ist seit gut zwei Jahren Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Damit kehrte der ehemalige Waadtländer Regierungsrat zu seinen Wurzeln zurück. Als Gewerkschafter begann er seine Karriere, die ihn fast bis in den Bundesrat gebracht hätte. Doch er verlor 2011 gegen Alain Berset (49). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat – wie schon von 1999 bis 2004. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.

Pierre-Yves Maillard (53) ist seit gut zwei Jahren Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Damit kehrte der ehemalige Waadtländer Regierungsrat zu seinen Wurzeln zurück. Als Gewerkschafter begann er seine Karriere, die ihn fast bis in den Bundesrat gebracht hätte. Doch er verlor 2011 gegen Alain Berset (49). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat – wie schon von 1999 bis 2004. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.

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