Während die Corona-Pandemie die öffentliche Debatte dominiert, werden im Hintergrund noch ganz andere Päckli geschnürt. Zu den schwergewichtigsten gehört die neue AHV-Reform (AHV 21). Die Bürgerlichen wollen das AHV-Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöhen. Knackpunkt bleibt dabei, wie viel Geld wie lange in Abfederungsmassnahmen fliessen soll.
Während das höhere Rentenalter gut 1,3 Milliarden Franken jährlich einspart, will SP-Sozialminister Alain Berset (48) rund 700 Millionen Franken für Kompensationsmassnahmen reservieren. In der ständerätlichen Sozialkommission wird derzeit ein bürgerliches Päckli geschnürt, das deutlich weniger Ausgleichsgeld beinhaltet. Von 400 bis 550 Millionen ist die Rede, in der schlimmsten Variante sogar nur von 300 Millionen Franken. Noch diese Woche will die Kommission die Vorlage unter Dach bringen, so dass der Ständerat die Reform in der Wintersession beraten kann.
1200 Franken weniger pro Jahr
Sperrfeuer von Gewerkschaften und links-grünen Parteien ist dem bürgerlichen Päckli gewiss. An vorderster Front stellt sich der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters.
Just vor dem Kommissionsentscheid befeuert der SGB an einer Medienkonferenz mit neuen Zahlen die Debatte. Er hat berechnet, wie hoch die AHV-Rentenkürzung für Frauen im Schnitt ausfällt, wenn sie auch künftig mit 64 Jahren in Pension gehen möchten. Als Richtwert gilt die Medianrente von monatlich 1754 Franken. Das heisst: Die Hälfte der Rentenrinnen bezieht weniger AHV-Rente, die andere Hälfte liegt darüber.
Das Resultat: Wer sich nach der Berset-Reform mit 64 pensionieren lässt, erhält wegen der damit verbundenen Kürzungen zwischen 40 und 100 Franken weniger pro Monat. Gemessen an der Medianrente sind es 1200 Franken weniger pro Jahr. Auf die Lebenserwartung gerechnet verlieren die Frauen gar 28'500 Franken.
Selbst mit den von Berset geplanten Abfederungsmassnahmen, die während neun Jahren gelten sollen, stehen die Frauen schlechter da. Der Gewerkschaftsbund beziffert das Minus für die Übergangsgeneration auf 30 bis 65 Franken pro Monat.
Der Gewerkschaftsbund hat zudem berechnet, was die Reform für jene Frauen bedeutet, welche schon heute bis 65 arbeiten, um ihre Rente aufzubessern. Im Vergleich zum Status quo müssten auch sie mit einem jährlichen Minus von 1200 Franken rechnen. Von einer Rentenverbesserung hingegen würden nur wenige Frauen profitieren – der Grossteil hingegen müsse mit Kürzungen von bis zu 123 Franken pro Monat rechnen.
Kommen zudem die bürgerlichen Verschärfungsvorschläge durch, sieht es für die Frauen noch düsterer aus. Die ständerätliche Sozialkommission will das höhere Frauenrentenalter sogar nur während vier Jahren abfedern.
«Die Reform AHV 21 führt mit der Erhöhung des Rentenalters faktisch zu einer Rentensenkung», sagt SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici. «Dringend notwendige Verbesserungen für die Situation der Frauen enthält die Vorlage keine.»
Rentenlücke zwischen den Geschlechtern
Für den Gewerkschaftsbund ein Unding. Insbesondere angesichts der gesamten Rentensituation: AHV und Pensionskasse zusammengenommen liegen Frauenrenten im Schnitt um 37 Prozent tiefer als Männerrenten. Die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern beträgt fast 20'000 Franken pro Jahr.
Das zeigt ein Bericht des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) zur «Gesamtsicht der Rentensituation», welches die ständerätliche Sozialkommission Anfang September erhalten hat.
Demnach beträgt die durchschnittliche AHV-Neurente derzeit 1900 Franken für Männer und 1726 Franken für Frauen. In der zweiten Säule ist der Unterschied noch grösser: Da beläuft sich die durchschnittliche, neue Männerrente auf 2752 Franken, die Frauenrente auf 1563 Franken pro Monat. Zudem fallen die Kapitalbezüge bei Frauen deutlich tiefer aus.
Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (52, VD) tritt mit voller Kraft gegen die AHV-Reform an. «Die verheerende Abbaulogik in der Altersvorsorge wird vom Parlament mit der AHV 21 weiter akzentuiert», sagt er. «Trotz miserablen Frauenrenten sollen ausgerechnet die Frauen die Rentensenkung in Kauf nehmen.»
Gewerkschaftsbund fordert 13. AHV-Rente
Maillard will diesen «Affront» nicht nur bekämpfen, sondern anderweitig Gegensteuer geben. Angesichts der sinkenden Pensionskassen-Renten fordert der Gewerkschaftsbund einen Ausbau der AHV. Für seine Initiative für eine 13. AHV-Rente sind schon über die Hälfte der benötigten Unterschriften beisammen.
Finanzieren möchte er den Ausbau teils auch mit Milliarden aus den Nationalbankgewinnen. Derzeit habe diese 84 Milliarden Franken an Gewinnausschüttungs-Reserven auf dem Konto, so Maillard. Er macht klar: «Wir brauchen auch in der Altersvorsorge für alle die Perspektive, dass es aufwärtsgehen kann.»