Das AHV-Frauenrentenalter soll von 64 auf 65 Jahre steigen. Das hat der Ständerat am Montag mit 30 zu 12 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen. Das bürgerliche Lager stellt sich geschlossen hinter die Erhöhung und ignoriert damit eine von über 300'000 Personen unterzeichnete Petition, welche sich gegen die «AHV-Abbauvorlage auf dem Buckel der Frauen» richtet.
«Wer sein ganzes Leben lang gearbeitet hat, verdient eine Rente, die zum Leben reicht», sagte Unia-Chefin Vania Alleva (51) bei der Einreichung der Bittschrift. «Das gilt auch für Frauen, das ist heute noch nicht der Fall!»
Die Rufe der Frauen seien bis jetzt in der Politik überhört worden, doppelte Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone (33, GE) nach. Und machte klar: «Ohne die Frauen macht man keine Reform.» Im Rat selber betonte sie die Benachteiligung der Frauen bei den Löhnen und in der zweiten Säule.
FDP-Müller: «Frauen werden in AHV nicht diskriminiert»
Davon liessen sich die Bürgerlichen in der kleinen Kammer nicht beeindrucken. «Niemand bekommt eine tiefere AHV-Rente», hielt Mitte-Ständerat Pirmin Bischof (62, SO) den Frauen entgegen.
Und FDP-Ständerat Damian Müller (36, LU) befand: «Frauen werden in der AHV nicht diskriminiert. Im Gegenteil: Sie beziehen im Durchschnitt vier Jahre länger Leistungen als die Männer und sogar durchschnittlich leicht höhere Leistungen als die Männer.»
Das höhere Frauenrentenalter spart der AHV jährlich gut 1,4 Milliarden Franken. Nur wissen auch die Bürgerlichen, dass eine reine Erhöhung ohne soziale Abfederung in einer Volksabstimmung zum Scheitern verurteilt ist.
Deshalb der grosse Knackpunkt an der ganzen Sache: Was darf das höhere Frauenrentenalter im Gegenzug kosten? Sprich: Wir lange und wie stark soll die Reform sozial abgefedert werden?
Mitte-Modell setzt sich durch
Insgesamt standen acht Modelle zur Diskussion. Der Bundesrat sah Kompensationsmassnahmen für neun Frauenjahrgänge vor. Deren Renten sollen bei einer früheren Pensionierung weniger stark gekürzt werden, bei tiefen Einkommen mit 64 Jahren sogar gar nicht. Das hätte bis zu 700 Millionen Franken jährlich gekostet.
Die ständerätliche Sozialkommission hingegen wollte bei den Frauen stärker sparen. Für die Übergangsgeneration sollten nur sechs Frauenjahrgänge von einer Abfederung profitieren, was mit bis 440 Millionen zu Buche schlägt.
Beim Geschacher um die richtige Variante setzte sich schliesslich ein Mitte-Vorschlag durch, welchen Ständerat Peter Hegglin (60, ZG) in der Debatte vertrat. Das Modell umfasst wie beim Bundesrat neun Frauenjahrgänge. Diese kommen in den Genuss eines Rentenzuschlags von bis zu 150 Franken monatlich. In diesem sogenannten Trapezmodell steigt der Zuschlag zuerst stufenweise an, bleibt dann für zwei Jahrgänge auf 150 Franken und sinkt dann wieder ab. Das kostet bis zu 420 Millionen Franken jährlich.
Ehepaarrenten nicht erhöht
Ein vermeintlicher Coup ist in der Kommission den Mitte-Vertretern mit Hilfe der SVP gelungen: Sie wollte die AHV-Rente für Ehepaare erhöhen – von heute 150 auf neu 155 Prozent einer Einzelrente. Das hätte 650 Millionen Franken gekostet.
Die FDP stemmte sich vehement gegen diese Verteuerung und drohte mit Ablehnung der ganzen Reform. Selbst Mitte-Präsident Gerhard Pfister (58) zeigte sich im Vorfeld skeptisch, die Forderung in die jetzige Vorlage zu packen. «Es gibt einen gewissen Widerspruch, wenn wir gleichzeitig bei den Frauenrenten sparen und die Ehepaarrenten erhöhen», sagte er im BLICK.
Während sich die Mitte-Vertreter dadurch nicht beirren liessen, liess die SVP die Idee für den Moment fallen. Mit 18 zu 13 Stimmen bei 13 Enthaltungen wurde die Erhöhung abgelehnt.
Mehrwertsteuer wird um 0,3 Prozent erhöht
Nur noch Formsache war die AHV-Zusatzfinanzierung via Mehrwertsteuer um 0,3 Prozentpunkt. Der Normalsatz steigt damit von 7,7 auf 8 Prozent. Von einer späteren Erhöhung um weitere 0,4 Prozent, sollte das Loch in der AHV-Kasse zu gross werden, wollte die kleine Kammer noch nichts wissen. Die Mehrwertsteuer-Erhöhung wurde in der Gesamtabstimmung mit 40 zu null Stimmen bei vier Enthaltungen gutgeheissen.
Als Nächstes ist der Nationalrat am Drücker. Dieser dürfte noch weiter am Kompensationsmodell feilen. Es ist nämlich ungewiss, ob das Mitte-Modell in einer Volksabstimmung Bestand hätte. Gewerkschaften, Linke und Grüne stehen Gewehr bei Fuss, um das Referendum zu ergreifen.
Rentenalter soll noch weiter steigen
Was ebenfalls klar ist: Rentenalter 65 ist erst der Anfang – es soll später noch weiter steigen. «Das ist nur eine Mini-Reform», betonte FDP-Ständerat Josef Dittli (UR), der nach seiner Corona-Erkrankung nun wieder im Parlament mittun durfte. Er strich die Bedeutung der Reform hervor – und macht auch gleich klar: «Sie ist nur der erste Schritt!» Mit der jetzigen Reform müsse die AHV stabilisiert und deren Finanzierung gesichert werden.
Das rechte Lager will bei der nächsten Reform nicht noch mehr Geld in die AHV buttern, sondern die Leute länger arbeiten lassen. Jungfreisinnige und Junge SVP sammeln derzeit Unterschriften für eine Volksinitiative, die das Rentenalter in einem ersten Schritt auf 66 Jahre festlegen will. Danach würde es der Lebenserwartung angepasst schrittweise steigen – bis 2050 würde das Rentenalter bei 67,5 Jahren liegen, so die Rechnung der Initianten. Das Begehren ist auf gutem Weg und wird voraussichtlich im Juli eingereicht.
Wie Radio SRF berichtet, steht Rentenalter 68 allenfalls schon früher zur Debatte. Um das sogenannte Umlagedefizit zu decken, bräuchte es entweder deutlich mehr Geld oder ein deutlich höheres Rentenalter. In der Antwort auf eine Interpellation von SVP-Nationalrat Lars Guggisberg (43, BE) kommt der Bundesrat zum Schluss: «Das Referenzalter der Frauen und Männer müsste wohl um drei bis vier Jahre auf rund 68 Jahre angehoben werden, um das Umlagedefizit im Jahr 2040 decken zu können.»