Er will im Juli an Konferenz in Lugano
Selenski versetzt Tessin und Bund in Aufregung

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski soll für eine Ukraine-Konferenz im Sommer ins Tessin reisen – sofern es die Kriegssituation erlaubt. Bund und Kantone wappnen sich für einen diplomatischen Grossanlass mit westlichen Staatschefs.
Publiziert: 05.05.2022 um 00:10 Uhr
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Letztes Jahr traf Bundespräsident Ignazio Cassis (rechts) den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Kiew zur Vorbereitung der Ukraine-Reformkonferenz.
Foto: EPA
Ruedi Studer

Kommt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) Anfang Juli in die Schweiz? Am 4. und 5. Juli findet in Lugano TI nämlich eine grosse Ukraine-Konferenz statt. Ursprünglich als Reform-Konferenz geplant, dürfte sie nun im Zeichen des Wiederaufbaus stehen.

Und Selenski will nach Möglichkeit nach Lugano reisen, wie er im März in seiner Videobotschaft an der Ukraine-Demo auf dem Bundesplatz angetönt hat. Auch Bundespräsident Ignazio Cassis (61) bekräftigte in den letzten Wochen immer wieder den Willen, die Konferenz in angepasster Form durchzuführen. «Mit geeignetem Format und Inhalt, um humanitäre und wirtschaftliche Fragen anzusprechen», wie er Mitte April nach einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Premierminister Denis Schmihal (46) twitterte.

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Auch Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) hatte bei ihrem Besuch in Kiew den Eindruck gewonnen, dass beide Seiten stark an der Konferenz interessiert sind. «Ich habe kein einziges Zeichen dafür erhalten, dass Selenski nicht kommen möchte – im Gegenteil», sagt sie zu Blick. Ob er tatsächlich kommen könne, hänge aber vom Kriegsverlauf ab. «Wir wissen alle nicht, was Putin bis im Juli macht.»

Was passiert am 9. Mai?

Das ist das Damoklesschwert, das über dem Anlass hängt. In Bundesbern beobachtet man die Entwicklung genau. Insbesondere in Cassis' Aussendepartement, das die Federführung für den Anlass innehat, blickt man gespannt auf den 9. Mai. An diesem Datum feiert Russland traditionell mit einer grossen Militärparade den Sieg über Nazi-Deutschland 1945. Experten befürchten, dass der russische Präsident Wladimir Putin (69) diesen Termin nutzt, um seinen Angriffskrieg nochmals zu intensivieren oder gar eine Generalmobilmachung anzuordnen.

Von der Teilnahme Selenskis hängt auch ab, wie hochrangig das Teilnehmerfeld aussehen wird. Ist Selenski vor Ort, dürften auch mehr ausländische Staats- und Regierungschefs teilnehmen, als wenn er nur per Video zugeschaltet wird. Laut «Tages-Anzeiger» werden dann neben Selenski zahlreiche weitere ukrainische Vertreter sowie mehrere westliche Staatsoberhäupter erwartet. «Die Anwesenheit von Staatschefs wie Mario Draghi, Emmanuel Macron oder Olaf Scholz steht zur Diskussion», wird der Tessiner Sicherheitsdirektor Norman Gobbi (45) zitiert.

Rund 40 Staaten unterstützen den Reformprozess in der Ukraine. Unter normalen Umständen wären Minister aus rund 20 Staaten sowie Hunderte Teilnehmende von internationalen Organisationen wie Nato, Weltbank, Europarat oder von Nichtregierungsorganisationen in Lugano erwartet worden. Wie es jetzt konkret aussieht, will das EDA derzeit nicht verraten. Die Vorbereitungen laufen aus Sicherheitsgründen unter grosser Geheimhaltung.

Bund und Kantone bereiten sich auf jeden Fall auf einen internationalen Grossanlass vor, bei dem sie ähnlich wie beim WEF in Davos GR gefordert sein werden. Der Kanton Tessin hat bereits ein Gesuch für einen Assistenzdienst der Armee gestellt. Noch ist offen, wie viele Armeeangehörige zum Einsatz kommen werden. Beim WEF sind es jeweils bis zu 5000 Soldaten. Über das Gesuch dürfte in den nächsten Wochen entschieden werden.

Wiederaufbau im Fokus

Auch das Programm ist noch nicht fix. Beim Bund spricht man von einer «rollenden Planung». Ursprünglich standen Themen wie Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierung oder Digitalisierung auf dem Programm. Das ist nun weitgehend Makulatur. Gemäss «Tages-Anzeiger» sind am ersten Tag die Eröffnung durch Selenski und Cassis sowie verschiedene kleinere Veranstaltungen geplant. Der zweite Tag ist einem Wirtschaftsforum gewidmet.

Dabei dürfte der Wiederaufbau im Fokus stehen, der Hunderte von Milliarden Franken kosten wird. «Wiederaufbau» war auch bei Kälins Besuch in Kiew das meistgenannte Wort ihrer Gesprächspartner. «Es braucht einen Marshall-Plan für die Ukraine», ist die Nationalratspräsidentin überzeugt.

Die Ukraine-Konferenz könnte hier durchaus eine gewisse Vorarbeit leisten. «Wichtig ist zu wissen, welche Hilfe die Ukraine braucht und wie diese koordiniert werden kann», sagt sie. Die Schweiz wiederum könne zudem bei Projekten zur Dezentralisierung und Demokratisierung eine wichtige Rolle übernehmen.

Kälin will auch hin

Kälin will nach Möglichkeit ebenfalls an der Konferenz teilnehmen, sofern auch ukrainische Parlamentarierinnen und Parlamentarier zugegen sein sollten.

Was die konkreten Inhalte der Ukraine-Konferenz betrifft, ist noch vieles offen. Das Aussendepartement will voraussichtlich in den nächsten ein, zwei Wochen aktiv kommunizieren.

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