Wolodimir Selenski bedankt sich bei der Schweiz und kritisiert Nestlé
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Live-Schaltung nach Bern:Wolodimir Selenski bedankt sich bei der Schweiz und kritisiert Nestlé

Selenskis Rede im Wortlaut
«Warum können wir nicht auch so leben wie die Schweizer?»

In einer emotionalen Rede hat sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Samstag in Bern an die Schweiz gewandt, sich bedankt, um Unterstützung gebeten und Banken sowie Nestlé kritisiert. Blick hat die Rede transkribiert.
Publiziert: 19.03.2022 um 19:55 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2022 um 08:29 Uhr
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Das Highlight der Demonstration in Bern war die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, der sich an die hier lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer, aber auch die Schweizerinnen und Schweizer richtete.
Foto: keystone-sda.ch

«Ich grüsse alle Schweizer Freunde der Ukraine. Ich grüsse das ganze Volk der Schweiz und danke Ihnen für die Unterstützung. Ich danke allen dafür, dass Sie die Freiheit mit uns verteidigen. Das ist wichtig in dieser besonderen Zeit.

Das Verbrechen des Terrorismus wird nicht von einer Person ausgeübt, nicht von einer Gruppe. Das Verbrechen wird von einem Staat ausgeübt, einem Staat, der auch Atomwaffen besitzt und ständiges Mitglied des Uno-Sicherheitsrates ist.

Wir haben eine Chance, jedem Aggressor zu zeigen, dass der Krieg nicht nur die Opfer zerstört, sondern in erster Linie diejenigen, die mit dem Krieg beginnen. Die Menschheit hat eine Chance, den Krieg zu stoppen. Ich sage das Ihnen, den Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz, einem Staat mit einer langen Geschichte des Friedens und grossem Einfluss in vielen Bereichen.

Bevor ich Präsident wurde, habe ich mich gefragt, wie ich das Leben der Ukrainer sehen möchte. Ich war oft in Ihrem Land und weiss, wie Sie leben. Als ich einmal beim Château Gütsch stand, fragte ich meine Freunde: Warum können wir nicht auch so leben? Auf diesem Niveau, mit diesem Lebensstandard, mit dieser Freiheit. In Gemeinden, die stark sind. Ich wollte, dass die Ukrainer genauso leben wie die Schweizer. Dass wir unser Leben selbst gestalten können, ohne auf die Politiker zu warten. Dass wir sicher sind. Und dass es für alle einen Platz gibt. Das wäre ein Traum für alle Menschen – erfolgreiche und weniger erfolgreiche.

Die Ukrainer sollen genauso wie die Schweizer spüren, dass sie in freien Gemeinden wohnen. Dass sich jeder in Ruhe und Sicherheit um seinen Wohlstand kümmern kann. Für Sie ist das eine ganz normale Sache. Doch für uns ist das ein Weg, den wir zu gehen haben. Wir haben entsprechende Gesetze verabschiedet, damit das funktioniert. Wir sind unseren Weg gegangen, bis der schwarze Tag kam – der 24. Februar. Es war der Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine. An diesem Tag hat sich alles geändert. Für jeden von uns: Für die Ukrainer, aber auch für die Europäer, für alle Demokratien auf dieser Welt. Ich bin Ihnen und Ihrem Staat dankbar, dass Sie uns in dieser schweren Zeit unterstützten. Dass Sie nicht beiseite geblieben sind und gesagt haben: Nein, da geht es nicht um uns.

Man kann nicht beiseite stehen, wenn im 21. Jahrhundert mitten in Europa Hunderte Raketen und Bomben fallen. Man kann nicht beiseite stehen, wenn die Armee des flächenmässig grössten Staates einen Krieg führt und dabei Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, Universitäten, Entbindungsstationen und Wohnviertel zerstört. Man kann nicht gleichgültig bleiben, wenn Kinder sterben. Bis Samstagmorgen hat die russische Armee 112 ukrainische Kinder getötet.

So wie ich damals wollte, dass die Ukrainer wie die Schweizer leben, so möchte ich jetzt, dass Sie wie die Ukrainer sind – im Kampf gegen das Böse. Es darf keine Fragen geben über die Schweizer Banken, wo sich das Geld jener befindet, die diesen Krieg entfesselt haben. Es ist ein Kampf gegen das Böse. Das Geld dieser Menschen muss eingefroren werden. Das ist der Kampf, den Sie führen müssen. Ich möchte, dass Sie Ukrainer sind. Dass Sie spüren, was es bedeutet, wenn friedliche Städte zerstört werden. Von Menschen zerstört werden, die in schönen Schweizer Gemeinden wohnen, die ihre Anwesen in Schweizer Städten geniessen. Diesen Menschen muss dieses Privileg entzogen werden.

Noch immer wird Handel mit Russland betrieben – obschon unsere Kinder sterben, unsere Städte zerstört werden. Zum Beispiel liegt unsere Stadt Mariupol seit einer Woche im Bombenhagel. Die Einwohner sind ohne Essen, ohne Wasser, ohne Strom.

Good Food, good Life – gutes Essen, gutes Leben: So lautet der Slogan Ihres Unternehmens Nestlé. Ihres Unternehmens, welches sich weigert, Russland zu verlassen. Ich möchte, dass Sie als Schweizer genauso sind wie wir Ukrainer. Dass wir die gemeinsame Chance nicht verlieren. Eine Chance, den Frieden zurückzubekommen. Eine Chance, alle Kriege in der Welt zu stoppen. Denn wenn die Schweiz mit den Ukrainern ist, dann sind wir erfolgreich – wenn die Ukraine mit Ihnen ist, dann sind wir stark.

Vor einem Jahr habe ich mit der Regierung Ihres Landes eine grosse Konferenz in Lugano vereinbart über die Transformation der Ukraine und über Reformen. Diese Konferenz sollte im Sommer stattfinden. Ich glaube, dass wir diese Konferenz in diesem Jahr in Ihrem Land durchführen können. Damit Sie zeigen können, was Sie in Ihren Herzen haben – damit wir das Beste zeigen können, was wir in unseren Herzen haben.
Wir, das sind alle Menschen, die um die Freiheit und um das Leben kämpfen. Danke Ihnen, danke der Schweiz. Es lebe die Ukraine!»

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