Sie kämpfen in Mariupol gegen Putins Truppen
Wie nationalistisch ist das Asow-Regiment?

Rund 2000 Mitglieder gehören dem hochumstrittenen ukrainischen Asow-Regiment an. In Putins Narrativ spielen sie eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, die Propaganda der «Entnazifierung» voranzutreiben. Aber was ist das für eine Truppe?
Publiziert: 19.03.2022 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2022 um 17:50 Uhr
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Das Asow-Regiment ist dafür bekannt, nationalistische und rechtsextreme Mitglieder zu haben.
Foto: AFP
Anastasia Mamonova

Wenn Wladimir Putin (69) über den Krieg in der Ukraine spricht, dann gibt er vor, das Land vor Nationalsozialisten wie dem Asow-Regiment schützen zu müssen.

Die russische Regierung streitet ab, Zivilisten zu beschiessen und beschuldigt das Bataillon, für die Zerstörung in Mariupol verantwortlich zu sein. Darunter auch für den Angriff auf das Theater am Mittwoch. So hatte das Verteidigungsministerium angegeben, dass die Asow-Kämpfer das Gebäude vermint und gesprengt hätten, mit dem Ziel, eine Provokation auszulösen.

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Doch wer ist das berüchtigte Asow-Regiment überhaupt und welche Rolle spielt es in der Ukraine?

Das Regiment besteht aus rund 2000 Mann. Sie verteidigen derzeit die Stadt Mariupol. In der Hafenstadt am Asowschen Meer – daher auch der Name – hat das Regiment sein Hauptquartier. Ein grosser Teil der Männer hat ultranationalistische und rechtsextreme Gesinnung. Der Verband ist Teil der ukrainischen Nationalgarde, ist somit dem Innenministerium unterstellt und wird aus dem Staatsbudget finanziert.

Gegründet aus Mitgliedern des «Rechten Sektors»

Gegründet wurde Asow im Mai 2014 als Freiwilligenbataillon in der Stadt Berdjansk. Ihr Anführer: Andrij Bilezkyj (42) aus Charkiw. Er und andere Mitglieder waren zuvor jahrelang bei der rechtsextremen Gruppe «Rechter Sektor» aktiv, die auch bei den Maidan-Protesten gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch (71) mitmarschierte.

Rechtsextreme Gesinnung ist deswegen auch bei den Asow-Männern klar erkennbar. Ihr Erkennungszeichen ist ein Emblem mit einer Wolfsangel – ein Zeichen, das auch Hitlers SS während des Zweiten Weltkriegs benutzte. Das Regiment selbst gibt an, dass es sich beim Symbol um die Buchstaben N und I handle, die für «nationale Idee» stehen sollen.

Das Ziel des Bataillons: die ukrainische Armee im Kampf gegen die prorussischen Separatisten in den Regionen Donezk und Luhansk zu unterstützen. Weil der Zustand der Armee 2014 derart miserabel war, hatte sich die Regierung in Kiew entschieden, die Ultranationalisten in ihre staatlichen Strukturen einzubinden. Bald wurde das Asow-Bataillon vom damaligen Innenminister Arsen Awakow (58) zum offiziellen Regiment erklärt und in die Nationalgarde integriert.

Kinder im Sommerlager an Waffen trainiert

Ein Ritterschlag für das Regiment. Mit fatalen Folgen: Denn die Männer fielen nicht nur mit rechtsextremen Symbolen, sondern auch mit zahllosen Gewalttaten auf. Die Uno-Menschenrechtsorganisation (OHCHR) hat bereits mehrere Verbrechen durch die Mitglieder des Asow-Regiments im Donbass dokumentiert. So sollen die Asow-Kämpfer jeweils 2014 und 2015 Menschen gefoltert haben, weil diese ihre Unterstützung für die pro-russischen Separatisten aus Luhansk und Donezk geäussert hatten.

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In der Ukraine hatten sich die Asow-Mitglieder zunächst als Landesverteidiger inszeniert und erlangten in den ersten Kriegsjahren breite gesellschaftliche Anerkennung, wie die «Zeit» berichtet. So führte das Regiment sogar Sommerlager für Kinder durch, wo unter anderem der Umgang mit Waffen trainiert wurde, wie ein Beitrag des «Guardian» aus dem Jahr 2017 zeigt. Im Video ist eine Lagerleiterin zu sehen, die auf ihrer Haut «White Pride»-Tattoos trägt.

Auch jetzt hatte das Regiment Waffentraining für Zivilisten organisiert. Selbst Rentnerinnen nahmen daran teil.

Kleine Erfolge in der Politik

Neben den Kämpfen versuchten die Nationalisten ihren Einfluss auf die Politik auszuweiten. Andrij Bilezkyj gründete die Partei «Das Nationale Korps», die bei den Wahlen 2014 allerdings keinen Erfolg hatte. Der frühere Asow-Chef selbst schaffte es über ein Direktmandat dennoch ins Parlament. Genauso wie der Anführer des «Rechten Sektors», Dmytro Jarosch (50).

Die «Entnazifierung», von der Putin immer wieder spricht, wird mit der Existenz der uniformierten Rechtsradikalen im Dienste des ukrainischen Staates begründet. Die Sondereinheit dient demnach als vermeintlicher Beleg für die Gesinnung der gesamten Regierung in Kiew. Die Neonazis würden einen Vernichtungskampf gegen die russische Minderheit im Land führen, so Putins Propaganda.

Keine Rechtsextremen im Parlament

Spielen die Rechtsradikalen tatsächlich eine derart grosse Rolle? Experten und Beobachter sind überzeugt, dass die Bedeutung der Gruppe massiv aufgebauscht wird. Bei den Wahlen 2019, als der jüdisch-stämmige Wolodimir Selenski (44) an die Macht kam, schafften es keine rechtsradikale Partei mehr ins Parlament. Auch für Bilezkyj war Schluss. Anzeichen für einen rechtsextremen Einfluss auf die Regierung des Landes sei nicht zu beobachten, so die Experten.

Andreas Umland (54) vom Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien ist der Ansicht, dass die russische Regierung die Rechtsextremen in der Ukraine als «massgeblichen politischen Einflussfaktor» präsentiere, «obwohl sie lediglich Randerscheinungen seien». Das sagte er gegenüber der «Welt».

Hat sich die Gesinnung verändert?

Auch militärisch machen die 2000 Asow-Kämpfer im Vergleich zu 450'000 Mitgliedern der Armee nur einen Bruchteil aus. In einem Interview mit der «Welt» sagt Kacper Rekawek, Postdoktorand am Zentrum für Extremismusforschung der Universität Oslo: «Wir diskutieren über Asow immer noch auf Basis des Bildes von 2014. Das ist genau das, was der Kreml will.»

Die meisten radikalen Gründungsmitglieder hätten das Regiment inzwischen verlassen, sagt Rekawek. «Neue Mitglieder schliessen sich der Gruppe oft aufgrund ihres Rufes als erfolgreiche Einheit an und nicht wegen des rechtsradikalen Anstrichs.»

Ob sich die Gesinnung des Regiments aber tatsächlich verändert hat, ist fraglich. Ein zuletzt veröffentlichtes Propagandavideo zeigt Kämpfer, die ihre Patronen in Schweinefett tunken, bevor sie sie ins Magazin stecken.

Damit sollen die «Kadyrow-Orks» getötet werden – paramilitärische Einheiten aus der muslimisch geprägten Republik Tschetschenien, mit Ramsan Kadyrow (45) an der Spitze. Viele dieser Milizionäre sind Berichten zufolge derzeit in der Ukraine. Das Schwein gilt im Islam als unreines Tier. Das Asow-Regiment will seine Feinde also nicht bloss vernichten, sondern auch demütigen.

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