Der Bundesrat bereitet eine Ausweitung der Covid-Zertifikatspflicht vor. Sollte sich die Situation in den Spitälern weiter verschlechtern, will Gesundheitsminister Alain Berset (49) zur Notbremse greifen. Zugang zu Restaurants, Kinos oder Hallenbäder erhält nur, wer ein Zertifikat vorweisen kann. Während sich die kantonalen Gesundheitsdirektoren hinter die Vorschläge stellen, warnt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (59) vor einer «Spaltung der Gesellschaft».
Die resolute Haltung Platzers passt nicht allen Gastronomen. Und nun hebt auch Economiesuisse Christoph Mäder (62) den Mahnfinger: «Ich erteile ihm keine Ratschläge», meint er mit Blick auf Platzer. Es brauche aber eine offene Diskussion über die nötigen Massnahmen. «Wir alle würden uns wünschen, dass wir in den Restaurants wie früher ein- und ausgehen könnten.» Genauso wünschten sich alle, dass man sich bei anderen Gelegenheiten wieder so verhalten könne wie vor der Krise.
Der entscheidende Faktor seien aber die Hospitalisierungen. «Wir dürfen im Gesundheitswesen nicht in eine Überlastungssituation kommen», macht Mäder klar. «Wenn dies droht, müssen wir Vorsichtsmassnahmen treffen – auch im Gastrobereich. Deswegen von einer Spaltung zu sprechen, geht zu weit.»
Economiesuisse offen für Ausweitung
In einem Punkt seien sich aber alle 100-prozentig einig: «Ein erneuter Lockdown ist das Letzte, das wir wollen.» Deshalb stehe Economiesuisse der Ausweitung der Zertifikatspflicht grundsätzlich positiv gegenüber – immer in Abhängigkeit der epidemiologischen Lage, so Mäder. Der Zugang zu staatlichen Leistungen wie gesundheitlichen Behandlungen oder elementaren Dienstleistungen müsse gewährleistet bleiben, betont Mäder. «Hier dürfen wir jene ohne Zertifikat nicht ausschliessen.»
In den anderen Bereichen müssten die Schutzkonzepte mitberücksichtigt werden, eine Zertifikatspflicht für den Zugang zu einer Dienstleistung durch die Situation gerechtfertigt sein. «Eine Zertifikatspflicht, um am See entlang spazieren zu können, ist sicher keine gute Idee», meint er. «Bei entsprechender epidemiologischer Lage kann eine Zertifikatspflicht beispielsweise für Restaurants-, Ausstellungs- oder Fitnesscenterbesuche eine mögliche Massnahme sein.»
Zertifikat auch im Arbeitsbereich
Was den Wirtschaftsverband besonders interessiert: Auch im Arbeitsbereich soll das Zertifikat zur Anwendung kommen. Berset möchte in der Verordnung explizit festhalten, dass die Arbeitgeber das Vorhandensein eines Zertifikats prüfen dürfen, «wenn dies der Festlegung angemessener Schutzmassnahmen oder der Umsetzung des Testkonzepts dient». Damit reagiert er auch auf Forderungen der Arbeitgeber.
Sollen also nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete ins Büro gehen dürfen? «Wir haben und werden nie eine allgemeine Zertifikatspflicht für den Arbeitsplatz befürworten. Das wäre völlig verfehlt und übertrieben», stellt Mäder klar. Was man aber unterstütze: «Der Arbeitgeber muss wenn nötig eine Zertifikatspflicht anordnen können – abhängig von einer konkreten Arbeitssituation und Gefährdungslage der Mitarbeitenden selbst wie auch der Kunden oder Lieferanten.» Das müsse nicht vom Staat verordnet werden, sondern solle eine Entscheidung des Arbeitgebers bleiben.
Mäder macht ein konkretes Beispiel: «Nehmen wir ein Unternehmen, welches einen Schalter betreibt, an dem es Kunden empfängt. In diesem Bereich muss eine Zertifikatspflicht möglich sein», sagt er. Im Backoffice ohne direkten Kundenkontakt hingegen brauche es dies nicht unbedingt. «Es müssen differenzierte und sachlich gerechtfertigte Lösungen möglich sein.»
Auch eine räumliche Trennung von Mitarbeitenden mit oder ohne Zertifikat mit angepassten Schutzmassnahmen ist für ihn vorstellbar. «Das kann man sich überlegen, dürfte aber vielerorts schwierig werden», meint er dazu. «Die Arbeitgeber sollen sämtliche Möglichkeiten prüfen können – mit oder ohne Zertifikatspflicht.»
Allerdings ist für ihn auch klar, dass die Arbeitskollegen nicht wissen müssten, ob jemand geimpft, genesen oder getestet sei. «Der Arbeitgeber muss aber sicherstellen können, dass er in gewissen Bereichen nur Zertifizierte einsetzen kann.» Wer welchen Status habe, sei aber eine vertrauliche Information. «Die gehört nicht ans Anschlagbrett.»
Impfen während Arbeitszeit
Mäder ist der Überzeugung, dass eine Rückkehr ins normale Leben nur mit einer entsprechenden Durchimpfungsrate gelingt. Ebenso ist ihm bewusst, dass sich die Wirtschaft noch stärker engagieren muss. «Es braucht nun eine gemeinsame Anstrengung der öffentlichen Hand und der Unternehmungen, um die Leute fürs Impfen zu gewinnen», sagt er. Auch die Arbeitnehmenden hätten ein grosses Interesse, dass es keinen Lockdown mehr gebe.
Von finanziellen Anreizen fürs Impfen, etwa einem Impf-Bonus aufs Lohnkonto, hält er aber nicht viel. Er sei kein Freund von Aktionen, bei denen mit solchen Benefits Druck gemacht werde. «Hingegen bin ich absolut dafür, dass man sich während der Arbeitszeit impfen lassen kann. Wir haben diesen Aufruf gemacht.»
Was es vor allem brauche, sei Information und Aufklärung. «Die Impfung ist kein Teufelswerk, die Impfstoffe sind sicher», sagt er. Und: «Es gibt eine grosse Gruppe von Unentschlossenen, die wir noch überzeugen können.»