Corona hat ihn zum bekanntesten Lobbyisten der Schweiz gemacht: Casimir Platzer (59), Präsident von Gastrosuisse und damit oberster Beizer des Landes. Auch dieser Tage schöpft Platzer wieder aus dem Vollen: Es drohe eine «Spaltung der Gesellschaft», wenn der Bundesrat das Covid-Zertifikat auch in der Beiz zur Pflicht mache. Nun regt sich aber Widerstand gegen Platzers Konfrontationskurs.
Stargastronom Michel Péclard (53) führt mehr als ein Dutzend Betriebe in und um Zürich. Schon gestern sagte er im Blick, er verstehe Platzer nicht. Nun legt er noch eine Schippe drauf. «Er hat sich verrannt. Wenn die Fallzahlen wieder steigen, müssen wir alle im Winter wieder in den Lockdown. Dann wird es richtig happig.»
«Mich nervt die Haltung von Gastrosuisse»
Péclard erhält in der Branche zunehmend Unterstützung. Zum Beispiel von Dirk Hany (37). Der Wirt der Bar am Wasser am Zürcher Stadthausquai schreibt auf Facebook: «Ich habe keine Lust mehr, jeden Abend Polizist zu spielen: ‹Bitte setzen Sie die Maske auf, bitte sitzen Sie ab, bitte registrieren Sie sich, bitte halten Sie zwei Meter Abstand zum Tischnachbarn.› Wie schön wäre es doch, wenn alle Gastrobetriebe wieder normal wirtschaften könnten, ohne Abstand, ohne grosse Einschränkungen? Mit dem Zertifikat wäre das möglich!»
Auch Florian Reiser (46), Inhaber der Ostschweizer Focacceria-Restaurants in St. Gallen, Wil SG und Herisau AR, findet deutliche Worte: «Immer nur motzen bringt nichts! Mich nervt die Haltung von Gastrosuisse. Der Widerstand gegen die Massnahmen ist kontraproduktiv.» Das ständige Gejammer nerve die Leute. Der Verband sollte die Energie besser darauf verwenden, sich für mehr Unterstützung für die Beizer starkzumachen, findet Reiser. «Was ich von Gastrosuisse vermisse, sind unternehmerische, positive Anstösse und ein hartes Verhandeln um die dringend notwendigen Unterstützungen von Bund und Kantonen, mit welchen die Gastronomie die Krise managen könnte.»
Sigi Gübeli (53), die das Hotel und die Bar Platzhirsch in Zürich betreibt, übt ebenfalls Kritik. «Casimir Platzer drückt für meinen Geschmack zu sehr auf die Mitleidsdrüse. So arm und benachteiligt, wie er tut, ist die gesamte Branche gar nicht.»
Nase voll von Platzers «Hau-drauf-Mentalität»
Auch die Hotelbranche sieht die Zertifikatspflicht gelassener als Platzer. Viele Hoteliers betreiben ihre Restaurants nicht nur für die hauseigenen Gäste, sondern auch für Externe. Dennoch zieht Andreas Züllig (63), Präsident des Verbands Hotelleriesuisse, die Zertifikatspflicht einem neuerlichen Lockdown vor. «In anderen Ländern gibt es die Zertifikatspflicht ja schon. Bei gewissen Betriebstypen führt das tatsächlich zu Einbussen, aber weit nicht überall.» Besonders Cafés mit viel Laufkundschaft sind betroffen. «Für Kaffee und Kuchen oder für ein Feierabendbier geht man nicht extra zum Test», so Züllig.
Auch wenn Züllig deutlich weniger scharf schiesst als Kollege Platzer, will er diesen nicht kritisieren: «Es braucht auch Stimmen, die etwas lauter für die Interessen ihrer Branche einstehen. Wir von Hotelleriesuisse haben einen anderen Weg eingeschlagen. Wir versuchen, konstruktiv und lösungsorientiert zu agieren.»
Deutlicher wird Christa Augsburger (52), Direktorin der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern: «Viele Gastronomen haben von Platzers Hau-drauf-Mentalität die Nase voll. Das geht ja schon seit Ausbruch der Pandemie so. Längst nicht alle stehen hinter der ewigen Kritik gegen den Bundesrat.»
Augsburger spricht von einem Stadt-Land-Graben: «Im urbanen Bereich hat man Verständnis für die Massnahmen. Auf dem Land, in der Beiz, sieht es das Stammtischpublikum wohl etwas anders.»
Platzer hängt das Telefon auf
Und tatsächlich: Viele von Blick angefragte Wirte werfen sich für Platzer in die Bresche, unter ihnen Roger Lang (59), Wirt des «Rathskeller» und des «Kreuz» in Olten SO. Er kann dem Zertifikat nichts abgewinnen: «Wir haben dafür kein Personal, keine Zeit und die Polizei möchten wir für Kontrollen auch nicht im Haus haben. Das macht keine gute Stimmung.»
Lang ergänzt: «Wenn ein Zertifikat kommt, haben wir Umsatzverlust. Und das will kein Beizer. Wir haben schon genug getan mit Trennwänden, Hygienemassnahmen usw. Man würde lieber die Grenzen zumachen während der Ferienzeit, damit diese Leute nicht das Virus zurück in die Schweiz bringen. Zudem könnten die teuren Hotels in der Schweiz mit ihren Preisen runter.»
Aus der Branche heisst es denn auch, Platzer und Gastrosuisse stünden für den typischen «Rössli-Wirt» – für den Beizer auf dem Land mit höchstens fünf Angestellten. Grössere Gastrounternehmer in den urbanen Zentren hingegen können sich mit dem Verband kaum mehr identifizieren.
Und was sagt Casimir Platzer selbst zum Widerstand aus den eigenen Reihen? Nicht viel. «Bei 30'000 Betrieben werden Sie sicher einige finden, die anderer Meinung sind. Die Debatte finde ich gut», sagt er nur und hängt das Telefon abrupt auf. Gerade er, der in den letzten eineinhalb Jahren selten um einen Kommentar verlegen war, bleibt für einmal auffällig still.