Wir steuern auf die vierte Welle zu
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Experten des Bundes besorgt:Wir steuern auf die vierte Welle zu

Corona-Patienten belegen wieder einen Viertel der IPS-Betten
In Lausanne ist die Intensivstation schon voll

Die Corona-Experten des Bundes sind besorgt. Die Intensivstationen drohen schon bald wieder an den Anschlag zu kommen. Der Bundesrat überlegt sich daher bereits neue Massnahmen.
Publiziert: 25.08.2021 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2021 um 07:56 Uhr
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Intensivstationen sind voll, Covid-Patienten müssen verlegt, Operationen verschoben werden. Es wird eng in Schweizer Spitälern.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer und Lea Hartmann

Das Waadtländer Unispital in Lausanne musste vergangene Woche bereits mehrere Covid-Patienten in andere Krankenhäuser im Kanton verlegen. Auf der Intensivstation hatte man schlichtweg keinen Platz mehr. Der Koordinierte Sanitätsdienst des Bundes bestätigt, dass in mehreren Kantonen bereits alle Intensivbetten belegt sind. Auch in der Zentralschweiz würden immer wieder Patienten verlegt, sagt der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri. «Das sind nicht nur Einzelfälle.»

Das Unispital Basel hat bereits damit begonnen, Operationen zu verschieben, um Platz auf der Intensivstation zu schaffen. Am St. Galler Kantonsspital könnten Wahleingriffe zwar noch durchgeführt werden, es würden aber vorerst keine neuen Termine vergeben, sagte der St. Galler Gesundheitsdirektor Bruno Damann (64) vor wenigen Tagen im Blick-Interview. Dabei mussten wegen der Pandemie schon im vergangenen Jahr rund 30'000 Operationen verschoben werden, von denen bis heute viele nicht nachgeholt werden konnten.

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30-mal mehr Hospitalisierungen seit Anfang Juli

Die vierte Welle ist in der Schweiz angekommen. Und sie bringt die Spitäler in der Schweiz schon jetzt in Bedrängnis. Laut der Statistik des Bundes waren die Intensivbetten am Montag zu 77 Prozent ausgelastet. Insgesamt werden 215 Covid-Patienten auf Schweizer Intensivstationen behandelt. Das macht über 25 Prozent der Gesamtkapazität aus. Tendenz steigend.

«Die Situation ist angespannt, die Entwicklung besorgniserregend», sagte Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Dienstag vor den Medien. Seit Anfang Juli hat sich die Zahl der Covid-Hospitalisierungen verdreissigfacht. «Im letzten Herbst waren die Spitäler am Anschlag», ergänzte Urs Karrer, Vizepräsident der Corona-Taskforce des Bundes. «Von dieser Situation sind wir nicht so weit entfernt – und der Herbst steht erst vor der Tür.»

«Eine Epidemie der Ungeimpften»

Ein grosses Problem: die Ferienrückkehrer, die das Virus in die Schweiz mitbringen. Sie machen etwa 40 Prozent der hospitalisierten Covid-Patienten aus – die meisten von ihnen waren in Südosteuropa.

Und was besonders ins Auge fällt: Neun von zehn schweren Erkrankungen treffen Ungeimpfte. Die Fälle wären also vermeidbar gewesen. «Das ist für das stark belastete Spitalpersonal besonders frustrierend», kommentiert Karrer. «Wir beobachten in den Spitälern eine Epidemie der Ungeimpften.»

Ansonsten erinnere die Situation an jene vor einem Jahr – mit zwei Ausnahmen: «Die Welle ist zwei Monate früher da, und die Patienten sind viel jünger.» Die meisten seien 40- bis 59-Jährige, dicht gefolgt von 20- bis 39-Jährigen. «Das sollte uns aufrütteln», so Karrer.

Die jetzige Lage könnte schon in einem Monat den Höhepunkt der zweiten Welle erreichen – oder noch schlimmer. «Wir hoffen aber, dass mit dem Ausbleiben weiterer Ferienrückkehrer der Anstieg etwas gebremst wird», sagt Mathys. «Vorerst rechnen wir aber mit einer weiteren Verschlechterung.»

Neue Massnahmen stehen zur Debatte

Viel Zeit bleibt nicht. Bereits Ende September beginnen in vielen Kantonen die Herbstferien. Für die Experten des Bundes ist klar, dass sich die Schweiz schon jetzt darauf vorbereiten muss, um den Worst Case zu verhindern. Dann werden erneut Zehntausende aus den Ferien zurückkommen. Und viele werden wohl wieder das Virus mitbringen.

Das BAG tönte denn auch an, dass schon bald wieder zusätzliche Corona-Massnahmen zur Diskussion stehen könnten. Lukas Engelberger (46), Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), forderte jüngst die Wiedereinführung der Einreisequarantäne. Mehrere Kantone pochen zudem darauf, dass der Bund den Anwendungsbereich des Covid-Zertifikats unter anderem auf Beizen ausweitet. «Hält die Dynamik an, dann ist die Ausweitung der Zertifikatspflicht naheliegend», sagt GDK-Sprecher Tobias Bär.

Berset will Zertifikats-Ausweitung beantragen

Zwar könnte das auch jeder Kanton einzeln beschliessen, in der gegenwärtigen Situation seien kantonal unterschiedliche Regelungen aber «wenig zielführend», so Bär. «Wir haben im Herbst 2020 gesehen, dass das zu Ausweichbewegungen und Verwirrung führt.»

Der Druck aus den Kantonen wirkt. Gemäss Blick-Informationen plant der Bundesrat heute nicht nur das Ende der Gratis-Tests ab Oktober definitiv zu besiegeln. Gesundheitsminister Alain Berset will beantragen, in den Kantonen eine Konsultation zur Zertifikats-Ausweitung zu starten.

Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (59) hat vorsorglich bereits eine Medienkonferenz für heute angekündigt. Sollte der Bundesrat tatsächlich das Covid-Zertifikat für Restaurants zur Pflicht machen wollen: Der Widerstand des obersten Beizers im Land ist sicher.

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