Umwandlungssatz, Rentenzuschlag, Eintrittsschwelle, Koordinationsabzug, Altersgutschriften – nicht nur Otto Normalbürger schwirrt bei solchen Begriffen der Kopf. Trotzdem entscheidet er am 22. September genau über diese Thematik. Mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) kommt eine der komplexesten Vorlagen seit Jahren an die Urne.
Blick erklärt nochmals die wichtigsten und umstrittensten Punkte zur BVG-Abstimmung.
Der Kern der Reform
Die steigende Lebenserwartung macht sich auch in der zweiten Säule bemerkbar. Das in der Pensionskasse angesparte Geld muss länger reichen. Das führt zum Kernstück der Vorlage: Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Diese Lücke will das Parlament mit Ausgleichsmassnahmen möglichst schliessen. Zum Beispiel, indem insbesondere bei Tieflöhnern oder Mehrfachbeschäftigten eine höhere Lohnsumme versichert wird. Oder durch einen Rentenzuschlag für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen.
Der Zahlensalat
Ein Thema hat den Abstimmungskampf dominiert: der Zahlenstreit. Nicht ohne Grund, denn die berufliche Vorsorge ist derart individuell, dass allgemeine Aussagen kaum möglich sind. Ein Jobwechsel, eine Arbeitszeitreduktion, ein Erwerbsunterbruch oder die jeweilige Pensionskassenstrategie – jedes Element wirkt sich darauf aus, wie viel Geld der Einzelne bei seiner Pensionierung auf seinem BVG-Konto angespart hat. Der Bund liefert daher nur standardisierte Modellrechnungen, mit denen sich die Auswirkungen grob abschätzen lassen.
Doch eben, die Zahlen sind wacklig. Das gibt den Kontrahenten viel Platz für Spekulationen. So führen die Befürworter eine Studie ins Feld, wonach 369'000 Personen mit der Reform eine höhere BVG-Rente erhalten würden. Wobei geflissentlich vergessen geht, dass gemäss der gleichen Studie 169'000 Personen eine tiefere Rente in Kauf nehmen müssten und über eine halbe Million Versicherte höhere Lohnbeiträge zahlt.
Das gegnerische Lager nutzt den Spielraum ebenso. Für Verwirrung sorgten dabei Zahlen der Gewerbe-Pensionskasse Proparis, wonach die Reform bei vielen Coiffeusen oder Metzgern zu teils happigen Renteneinbussen führe – wobei die Kasse später die Aussagen korrigieren musste. Zu guter Letzt eskalierte der Gewerkschaftsbund den Zahlenstreit, indem er die Berechnungen des Bundes anzweifelte und so – gewollt – für weitere Verunsicherung sorgte. Erst recht, nachdem der Bund mit seinem AHV-Verrechner selber einen Vertrauensverlust hinnehmen musste.
Wirklich für Klarheit kann für den Einzelnen nur eine Stelle sorgen, wie selbst die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) sagte: «Fragen Sie Ihre Pensionskasse!»
Die Frauenfrage
Es ist das Kernthema, das die Befürworter in den Fokus rücken: Die Reform soll für bessere BVG-Renten bei Geringverdienenden, Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigten sorgen. Das betrifft insbesondere Frauen. «Von ihnen werden viel mehr als heute eine zweite Säule und damit eine bessere Rente haben», sagte Baume-Schneider im Blick-Interview. «Eine kleine Rente zwar, aber sie erhalten etwas. Heute kriegen sie nichts.»
Für den Frauendachverband Alliance F, der die Reform unterstützt, ist dies der entscheidende Punkt. 275’000 Frauen würden eine höhere Rente erhalten, aber nur 67'000 eine tiefere, wie ihre Studie ergeben hat. Auf der Gegenseite warnt ein Frauenbündnis vor einem «BVG-Bschiss». Tieflöhnerinnen würden kaum profitieren, weil ihnen die Ergänzungsleistungen gekürzt würden.
Mehr Erklärungen zur BVG-Reform findest du hier
Das grosse Unbehagen
Die Mehrheit der Versicherten ist schon heute besser versichert als gesetzlich vorgeschrieben und daher nur am Rande von der Reform betroffen, wie etwa über die Finanzierung des Rentenzuschlags. Trotzdem droht der Vorlage am 22. September der Absturz, wie die jüngsten Umfragen vermuten lassen.
Offensichtlich herrscht in der Bevölkerung ein grosses Unbehagen angesichts der Negativentwicklung der vergangenen Jahre. Für viele im sogenannten Überobligatorium ist ein tieferer Umwandlungssatz bereits Realität, was sich in tieferen Renten niederschlägt. Die neuste Swisscanto-Pensionskassenstudie erwartet, dass sich der durchschnittliche Umwandlungssatz bis 2029 bei rund 5,2 Prozent einpendeln dürfte.
Das Unbehagen mündet darin, dass die Mehrheit in der Bevölkerung bei der Altersvorsorge den Gewerkschaften stärker vertraut als den Wirtschaftsverbänden, wie der Axa-«Ruhestandsmonitor» zeigt. Und je komplizierter eine Abstimmungsvorlage, desto mehr spielt Vertrauen beim Abstimmungsverhalten eine Rolle.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.