Jetzt eskaliert der Streit um die Pensionskassen-Reform: Der Gewerkschaftsbund wirft dem Bund Schönfärberei vor und macht den Zahlensalat mit eigenen Berechnungen noch bunter. Im Nachgang zum Milliarden-Verrechner bei der AHV zweifeln die Gewerkschaften auch bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) die behördlichen Zahlen.
Die Informationen des Bundes seien angesichts der Bedeutung der Abstimmung nicht nur ungenügend, sondern sogar irreführend, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart (55) am Dienstag vor den Medien in Bern. «Die vom Bund veröffentlichten Zahlen beschönigen die Auswirkungen der Reform auf die Renten erheblich.»
«Völlig weltfremde Annahmen»
Er stört sich dabei an den Modellrechnungen des Bundes, welche die Rentenentwicklung abschätzen. Diese basierten auf «völlig weltfremden Annahmen», fährt Lampart dem Bund an den Karren. So gingen die Rechnungen davon aus, dass Arbeitnehmende ihr Leben lang den gleichen Lohn verdienen würden. Auch andere Faktoren wie Produktivität oder Erfahrungszuschlag bei älteren Arbeitnehmenden würden zu wenig oder gar nicht berücksichtigt.
Die behördlichen Zahlen würden daher ein falsches Bild zeichnen, wonach erst ab einem Monatseinkommen ab gut 5500 Franken mit Rentenkürzungen zu rechnen sei. Die Gewerkschaften kommen in ihrem Rechnungsmodell zu einem anderen Schluss. «Die BVG-Renten sinken ab Monatslöhnen von etwas über 4000 Franken», so Lampart.
Negative Netto-Bilanz ab 3300 Franken
Die Rentenerhöhungen im Tieflohnbereich relativiert er ebenfalls. Diesen stünden nämlich hohe zusätzliche Lohnbeiträge gegenüber, welche die Erwerbstätigen zahlen müssten.
Zieht man zusätzliche Lohnbeiträge und daraus resultierende Renten in Betracht, dürfte die Nettobilanz bei einer heute 35-jährigen Person bereits bei rund 3300 Franken Monatseinkommen negativ sein, so der Gewerkschaftsbund. «Die Kosten der Reform sind höher als der Nutzen», so Lampart. Und: «Die vom Bund kolportierten Rentenverbesserungen sind in vielen Fällen eine Fata Morgana.»
Fehlender Teuerungsausgleich
SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici (38) warnte zudem vor den indirekten Auswirkungen auf die laufenden Renten. Pensionierte müssten wohl noch länger auf einen Teuerungsausgleich auf ihre BVG-Renten warten, wenn die Kassen für die Finanzierung des Rentenzuschlags neue Reserven bilden müssten.
Klar ist: Hinter der Zahlenpräsentation so kurz vor dem entscheidenden Urnengang am 22. September steht auch politisches Kalkül. Mit seinen Berechnungen sorgt der Gewerkschaftsbund für zusätzliches Wirrwarr im Abstimmungskampf. Dies, nachdem schon die Proparis-Zahlen für Verwirrung sorgten. Die Verunsicherung dürfte dem Nein-Lager tendenziell mehr helfen als den Befürwortern der Reform.
Keine generellen Aussagen möglich
Was man dem Bund zugutehalten muss: Er erklärt in seinen Unterlagen, dass es sich jeweils um standardisierte Annahmen handelt. Und macht auch deutlich, dass sich nicht genau beziffern lässt, wie viele Personen unter dem Strich profitieren oder drauflegen.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
«Eine generelle Aussage ist nicht möglich, weil die berufliche Vorsorge für jeden individuell geregelt ist – je nach beruflicher Laufbahn, Lohnentwicklung oder Reglement der Pensionskasse», betonte auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) im Blick-Interview.
Wer es genau wissen will, sollte den Rat der Sozialministerin beherzigen: «Fragen Sie einfach bei Ihrer Pensionskasse nach!»