Die Wirtschaftsverbände haben eine Scharte auszuwetzen. Nach der Niederlage bei der 13. AHV-Rente droht auch bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) eine Schlappe gegen die Gewerkschaften. Zwar liegen die Befürworter der Reform gemäss erster SRG-Umfrage derzeit vorn. Doch der Anteil der Unentschlossenen ist noch hoch.
Arbeitgeber-Präsident Severin Moser (61) kämpft für die Reform. Sein Verband führt die Ja-Kampagne an. Im Blick-Interview erklärt der frühere Leichtathlet, wie er die Hürde schaffen will.
Blick: Herr Moser, Sie waren lange Leichtathlet und sind sich Wettkämpfe gewohnt. Jetzt stehen Sie im Finale um die BVG-Reform. Wie wollen Sie den Sieg schaffen?
Severin Moser: Wir geben im Schlussspurt nochmals Vollgas. Es ist eine gute Reform – ein gutschweizerischer Kompromiss, der von einer breiten Allianz getragen wird. Es stellt sich die Frage: Bleiben wir beim Status quo oder machen wir einen Schritt vorwärts?
Am Ursprung der Debatte stand der Sozialpartner-Kompromiss von Arbeitgeberverband und Gewerkschaften. Das Parlament hat diesen vom Tisch gefegt. Ärgert Sie das nicht?
So funktioniert das Schweizer System. Aber die jetzige Vorlage weicht gar nicht wahnsinnig stark vom Sozialpartner-Kompromiss ab. Wir unterstützen die BVG-Reform aus Überzeugung, weil sie die heutigen Mängel in der zweiten Säule beseitigt.
Welche Mängel meinen Sie?
Es gibt drei wichtige Elemente. Erstens werden tiefere Löhne und Teilzeiteinkommen neu oder besser versichert. Das ist ein wichtiger Beitrag, um die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern zu reduzieren. Zweitens die Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Es ist rein arithmetisch klar: Wenn man länger lebt und die Zinsen tief sind, muss der Umwandlungssatz sinken.
Und drittens?
Für ältere Arbeitnehmende ist es schwieriger als für Jüngere, wieder eine neue Stelle zu finden, wenn sie aus dem Arbeitsprozess fallen. Mit der Reform werden die Abstufung der BVG-Lohnbeiträge geglättet und die Beiträge für Ältere gesenkt. Damit werden sie weniger teuer. Das wird bei der Jobsuche helfen.
Die Senkung des Umwandlungssatzes ist das Kernstück der Vorlage. Das Versprechen, dass das Rentenniveau weitgehend gehalten wird, wird in vielen Fällen aber nicht eingelöst.
Das ist explizit falsch. Wenn man nur die gesetzlichen Mindestleistungen im BVG anschaut, gibt es Gewinner wie auch Verlierer. Wenn man aber das Überobligatorium – also die freiwilligen Zusatzleistungen – dazu nimmt, sind 85 Prozent der Versicherten gar nicht von der geplanten Anpassung des Umwandlungssatzes betroffen. Ebenso wenig die jetzigen Rentner. Effektiv ist nur ein kleiner Teil der Versicherten mit einer Rentenkürzung konfrontiert – und diese werden mehrheitlich mit grosszügigen Kompensationsleistungen entschädigt. Andere erhalten eine höhere Rente und viele werden zudem mit der Reform erstmals im BVG versichert.
Seit gut einem Jahr präsidiert Severin Moser (61) als Nachfolger von Valentin Vogt (63) den Schweizerischen Arbeitgeberverband. Der Ökonom ist seit vielen Jahren in führenden Positionen in der Versicherungsbranche tätig. Seit letztem Jahr amtet er auch als Verwaltungsrat von Swisslife. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter – eine davon ist Olympia-Stabhochspringerin Angelica Moser (26). Der Zürcher Weinländer war selbst Leichtathlet. 1988 nahm er als Zehnkämpfer an den Olympischen Spielen in Seoul teil. Im selben Jahr wurde er Schweizer Meister im Stabhochsprung.
Seit gut einem Jahr präsidiert Severin Moser (61) als Nachfolger von Valentin Vogt (63) den Schweizerischen Arbeitgeberverband. Der Ökonom ist seit vielen Jahren in führenden Positionen in der Versicherungsbranche tätig. Seit letztem Jahr amtet er auch als Verwaltungsrat von Swisslife. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter – eine davon ist Olympia-Stabhochspringerin Angelica Moser (26). Der Zürcher Weinländer war selbst Leichtathlet. 1988 nahm er als Zehnkämpfer an den Olympischen Spielen in Seoul teil. Im selben Jahr wurde er Schweizer Meister im Stabhochsprung.
Ihr Kontrahent Pierre-Yves Maillard (56) sieht das dezidiert anders. Er sieht den «typische Mittelstand» als grossen Verlierer. Handwerker, Bauarbeiter oder Pflegefachkräfte mit 70'000 bis 90'000 Franken Einkommen im Jahr.
In der Realität gibt es diese Fälle kaum, weil die grosse Mehrheit bereits überobligatorisch versichert ist. Pierre-Yves Maillard bezieht sich auf wenige Ausnahmefälle. Deswegen die ganze Reform zu bekämpfen, erachte ich als falsch.
Die Verunsicherung bleibt aber, weil nicht einmal der Bund ausweisen kann, wie viele Personen eine bessere oder schlechtere Rente erhalten.
Wie gesagt, der Grossteil ist bereits besser versichert und daher nicht direkt betroffen. Wer genau wissen will, was die Reform für ihn persönlich bedeutet, fragt am besten bei seiner Pensionskasse nach. Diese geben sehr gerne Auskunft.
Sie stehen nicht nur unter Beschuss der Gewerkschaften, auch ein Gewerbe-Komitee um SVP-Ständerätin Esther Friedli (47) tritt gegen die Vorlage an. Es kritisiert eine zusätzliche Umverteilung und unnötige Zusatzkosten für die Wirtschaft.
Ich kann nachvollziehen, dass die Mehrkosten gewisse Branchen schmerzen. Diese Kritik beweist doch: Der Grossteil der Wirtschaft nimmt die Mehrkosten in Kauf und investiert substanziell in die zweite Säule. Das widerlegt auch die Behauptung der Gewerkschaften, dass den Arbeitnehmenden etwas weggenommen wird. Diese Reform ist kein Rentenklau! Im Gegenteil: Sie sorgt für einen substanziellen Ausbau, insbesondere bei Tieflöhnern und Arbeitnehmenden in Teilzeit.
Diese Investition liesse sich auch ohne Senkung des Umwandlungssatzes machen.
Dann wird ein wesentlicher Mangel im BVG-Obligatorium nicht beseitigt und die Umverteilung von den Aktiven zu den Pensionierten bleibt bestehen. Das geht zulasten der Erwerbstätigen, weil das Geld bei ihren Kapitalerträgen abgezwackt wird. Diese Umverteilung widerspricht dem Prinzip der zweiten Säule, wo jeder für sich spart.
Was passiert, wenn die Reform abstürzt. Erlebt dann der Sozialpartner-Kompromiss ein Revival?
Das glaube ich nicht. Es droht ein jahrelanger Stillstand mit all seinen Nachteilen. Jene Pensionskassen, die ihre Probleme bisher nicht gelöst haben, werden neue Finanzierungswege suchen müssen. Das wird für die Betroffenen deutlich teurer zu stehen kommen als die jetzige Lösung.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Eine weitere sozialpolitische Front ist die AHV. Diese steht nach dem Verrechner des Bundes um Milliarden besser da als bisher gedacht.
Ich bedaure, dass ein solcher Rechenfehler überhaupt passieren kann. Wir müssen nun erstmal die neutrale Untersuchung abwarten. Zum Glück steht die AHV nun etwas besser da. Aber das Grundproblem bleibt: Die AHV-Finanzen verschlechtern sich etwas weniger rasch, aber sie verschlechtern sich. Schon ab 2026 ist das Umlageergebnis negativ.
Der Bundesrat will die 13. AHV-Rente über eine höhere Mehrwertsteuer finanzieren. Für diese Variante hat auch ihr Verband plädiert.
Mit der 13. AHV-Rente werden die Rentner bessergestellt, daher ist es richtig, dass auch sie einen Beitrag dazu leisten. Die Mehrwertsteuer ist daher fairer als Lohnbeiträge. Angesichts der neuen Ausgangslage sollten wir die neuen Zahlen abwarten. Ob eine sofortige Nachfinanzierung nötig ist, ist ungewiss. Wenn ja, plädieren wir für eine vorerst zeitliche begrenzte Mehrwertsteuer-Erhöhung.
Trotz der happigen Schlappe bei der Renten-Initiative der Jungfreisinnigen pochen die Arbeitgeber weiterhin auf eine Erhöhung des Rentenalters. Das ist doch illusorisch.
Die demografische Entwicklung ändert sich nicht, das Grundproblem bleibt. Daher kommen wir um eine Flexibilisierung und Erhöhung des Rentenalters nicht herum. Diese Diskussion müssen wir weiterhin führen.
Dann landen wir bei 66, 67 oder höher?
Ich will mich nicht auf eine fixe Zahl festlegen. Die Idee der Renten-Initiative mit der Kopplung des Referenz-Rentenalters an die Lebenserwartung war aus meiner Sicht aber richtig. Dann könnten wir dieses auch in Monatsschritten anpassen. Auch neue Modelle, wie etwa eine Lebensarbeitszeit, sollten geprüft werden. Klar ist aber: Es braucht eine nachhaltige Lösung, sodass wir nicht alle zwei, drei Jahre eine Notfinanzierung beschliessen müssen.