Am 22. September kommt mit der beruflichen Vorsorge (BVG) die nächste Rentenreform vors Volk. Nachdem das Stimmvolk 2017 die Altersvorsorge 2020 bachab geschickt hat, nimmt das Parlament nun einen neuen Anlauf für eine Pensionskassen-Reform. Blick erklärt, was sich mit der Vorlage ändert.
Was ist die berufliche Vorsorge?
Um für das Alter finanziell vorzusorgen, kennt die Schweiz das Drei-Säulen-System. Die erste Säule ist die AHV als staatliche Vorsorge. Davon profitieren alle, die in die Altersversicherung einbezahlt haben.
Die zweite Säule ist die berufliche Vorsorge (BVG), auch Pensionskasse genannt. Ab einer gewissen Einkommensgrenze zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam Sparbeiträge ein. Diese Altersgutschriften kommen dereinst dem Arbeitnehmenden zugute. Je mehr Geld auf dem eigenen Pensionskassen-Konto, desto höher dereinst die individuelle BVG-Rente.
Als dritte Säule kommt das private Alterssparen hinzu. Hier legen die Leute alleine Geld für sich beiseite. Arbeitnehmende können Beiträge bis maximal 7056 Franken jährlich von den Steuern abziehen.
Was sind die wichtigsten Änderungen?
Das Gesetz zur beruflichen Vorsorge legt Mindest-Vorschriften für die Pensionskassen fest. Man spricht daher auch von obligatorischen Leistungen oder BVG-Obligatorium. Geregelt wird etwa, ab wann und wie viel man mindestens in eine Pensionskasse einzahlen muss. Ebenso, wie hoch die Rente mindestens sein muss. Mit der BVG-Reform wird an einigen dieser Stellschrauben gedreht.
- Eintrittsschwelle: Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute als Angestellter mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Man bezeichnet diesen Mindestlohn als Eintrittsschwelle. Diese soll neu auf 19'845 Franken sinken. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert. 30'000 Personen stärker als bisher – weil sie Teilzeit arbeiten oder kleine Löhne aus mehreren Jobs haben, die bisher zu tief für eine BVG-Versicherung sind.
- Koordinationsabzug: In der Pensionskasse ist oft nicht der ganze Lohn versichert. Vom Einkommen wird nämlich der sogenannte Koordinationsabzug abgerechnet. Was übrig bleibt, ist der «versicherte Lohn». Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
- Altersgutschriften: Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform angepasst: Im Alter von 25 bis 44 Jahre zahlt man künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf den versicherten Lohn ein. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
- Umwandlungssatz: Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
- Rentenzuschlag: Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag von maximal 200 Franken monatlich ausgeglichen werden. Diesen gibt es für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen und wird nach Alter und Einkommen abgestuft.
Profitiere ich von der Reform?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da die Rente von zahlreichen individuellen Faktoren abhängt – von der Lohnentwicklung, der Berufskarriere, der Branche und der Strategie, die die eigene Pensionskasse fährt.
Gut zwei Drittel der 4,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten dürften kaum etwas von der Reform haben, schätzt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Dies deshalb, weil sie bereits deutlich «überobligatorisch» versichert sind. Das heisst: Ihre Pensionskasse zahlt freiwillig mehr aufs Rentenkonto ein, als sie gesetzlich müsste. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Arbeitgeber auf den Koordinationsabzug verzichtet, womit auf mehr Lohn Altersgutschriften bezahlt werden. Viele Unternehmen übernehmen zudem einen grösseren Anteil der Lohnbeiträge.
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Direkt betrifft die Reform hauptsächlich jene, die nur im BVG-Obligatorium oder wenig darüber hinaus versichert sind. Das sind zusammen gut ein Drittel der Versicherten. Mit dem tieferen Umwandlungssatz sinken ihre Renten. Höhere Lohnbeiträge und ein Rentenzuschlag gleichen dies teilweise aus. Wie viele Personen unter dem Strich profitieren oder drauflegen, kann das BSV nicht beziffern. Das Amt skizziert für diesen Bereich grob drei Kategorien:
- Jene mit Jahreseinkommen bis 60'000 Franken sowie Mehrfachangestellte zahlen künftig mehr ein, erhalten dafür auch eine – teils deutlich – höhere BVG-Rente.
- Die Altersgruppe zwischen 40 und 60 Jahren mit über 80'000 Franken Einkommen zahlt künftig weniger Beiträge, bekommt aber auch eine tiefere Rente.
- Am härtesten trifft es die unter 30-Jährigen mit mindestens 75'000 Franken Einkommen sowie die 35- bis 50-Jährigen mit Einkommen zwischen 65'000 und 80'000 Franken: Sie zahlen künftig mehr ein, erhalten aber weniger Rente.
Einen Anhaltspunkt liefert zudem der Pensionskassen-Rechner von Blick. Wer es genau wissen wolle, solle doch bei der eigenen Pensionskasse nachfragen, empfahl SP-Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) an einer Medienkonferenz.
Wer bekommt den Rentenzuschlag?
Weil bei den Älteren die Lohnbeiträge sinken und damit weniger Alterskapital angespart werden kann, soll ein Rentenzuschlag für einen Ausgleich sorgen. Vorgesehen ist der Zustupf für die ersten 15 Jahrgänge, die nach Inkrafttreten der Revision in Rente kommen. Doch auch hier profitieren nicht alle davon.
Den vollen Zuschlag bekommen jene, die bei der Pensionierung weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse haben – das entspricht etwa einem Viertel der Versicherten der Übergangsgeneration. Für die ersten fünf Jahrgänge beträgt der Zuschlag 200 Franken, für die nächsten fünf 150 Franken und für die letzten fünf 100 Franken.
Jene, die zwischen 220'500 und 441'000 Franken angespart haben – etwa ein Viertel der Versicherten –, erhalten einen abgestuften Teilzuschlag. Je mehr Geld im Rentenkässeli liegt, desto tiefer fällt der Zustupf aus. Wer mehr als 441'000 Franken auf dem Konto hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts.
Was ist mit den Frauen?
Ein grosser Streitpunkt dreht sich um die Frage, ob die Frauen von der Reform profitieren und sich die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern verringert.
Fakt ist: Frauen arbeiten öfter als Männer Teilzeit und in Branchen mit tiefen Löhnen. Da der versicherte Lohn steigen soll, erhöht sich die BVG-Rente für sie. Unter dem Strich bedeutet das aber nicht unbedingt mehr Geld im Alter. Denn es kann passieren, dass sie wegen der höheren Rente keine Ergänzungsleistungen (EL) mehr erhalten. Was dann bedeutet: Sie zahlen zwar mehr ein, bekommen aber nicht mehr. Welche Auswirkungen die BVG-Reform auf allfällige EL-Ansprüche hat, kann das BSV nicht konkret beziffern. Diese Blackbox bleibt.
Umso heftiger ist ein Streit um die Frauenfrage entbrannt. Die Reform-Befürworterinnen der Frauenorganisation Alliance F führen eine Studie ins Feld, wonach 275’000 Frauen eine höhere Rente erhalten würden, aber nur 67'000 eine tiefere – wobei die Studie die EL-Frage nicht berücksichtigt. Auf der Gegenseite warnt ein Frauenbündnis vor einem «BVG-Bschiss». Tieflöhnerinnen würden kaum profitieren, weil ihnen die EL gekürzt würden. Und im Mittelstand drohe bis zu 3200 Franken weniger BVG-Rente pro Jahr.
Wer ist dafür und wer dagegen?
Der Arbeitgeberverband führt die Ja-Kampagne an. Auf Befürworterseite stehen zudem Mitte, FDP, SVP und GLP. Ebenso Economiesuisse, Gewerbeverband und Swissmem. Die Befürworter erhoffen sich eine Modernisierung der beruflichen Vorsorge und mehr Gerechtigkeit unter den Generationen.
Die Nein-Kampagne wird vom Gewerkschaftsbund geleitet. Unterstützung erhält er von SP und Grünen. Das links-grüne Lager befürchtet einen Rentenabbau. Auch die Konsumentenzeitschrift «K-Tipp» trägt das Referendum mit. Zudem lehnen Teile der Wirtschaft – vor allem im Niedriglohn-Bereich – die Reform ab, weil sie hohe zusätzliche Lohnkosten befürchten.