Wer profitiert, wer verliert?
Die Geheimniskrämerei der Pensionskassen

Die Pensionskassen-Reform sorgt für Unsicherheit: Mehrere grössere Vorsorgeeinrichtungen können oder wollen nicht sagen, wer wie stark von Rentenkürzungen oder -erhöhungen betroffen wäre. Andere Kassen legen auf Anfrage von Blick ihre Berechnungen offen.
Publiziert: 10.08.2024 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2024 um 11:56 Uhr
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Höchstens ein Drittel der Pensionskassen-Versicherten sei von der Reform betroffen, sagt der Bund. Doch wer genau?
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Ja oder Nein? Die Abstimmung über die Pensionskassen-Reform am 22. September betrifft Millionen Angestellte im Land. Die grosse Frage ist: Wer von ihnen profitiert? Und wer gehört zu den Verlierern?

Der Bund will sich nicht auf die Äste hinauslassen und äussert sich nur sehr zurückhaltend. Zu komplex sei die Angelegenheit, zu individuell die entscheidenden Faktoren. Schliesslich gibt es über 1300 Pensionskassen – jede mit ihren eigenen Vorsorgeplänen.

Höchstens ein Drittel der Versicherten sei betroffen, schätzt der Bund grob. Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) riet, man solle beim eigenen Versicherer nachfragen, wenn man genauer wissen wolle, welche Folgen die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) für einen selbst hat.

Wer bekommt mehr Rente?

Doch auch die Pensionskassen geben sich teilweise zugeknöpft. Blick hat bei über 30 grösseren Kassen nachgefragt. Wir wollten wissen: Wie viel Prozent der Versicherten dürften gemäss ihren Schätzungen mehr Rente erhalten, wie viel weniger?

Zahlreiche Versicherer haben darauf keine befriedigende Antwort. Sie verweisen darauf, dass es noch zu viele Unbekannte gebe, um verlässliche Angaben machen zu können. Oder dass die Berechnungen dazu noch nicht vorlägen. Tatsächlich ist es schwierig, die Auswirkungen zu beziffern. Es handelt sich um Schätzwerte, die mit vielen Unsicherheiten behaftet sind – vor allem, wenn sie Personen betreffen, die erst in mehreren Jahrzehnten pensioniert werden. Und die Details würden erst im Fall einer Annahme geregelt.

Pensionskassen mauern

Es gibt allerdings auch Versicherer, die Analysen durchgeführt haben – die detaillierten Resultate aber für sich behalten wollen.

Dazu gehört die Axa, einer der grössten Player im Markt. Mit 430'000 Versicherten hat fast jeder zehnte Arbeitnehmer sein Pensionskassen-Konto dort. Das Unternehmen wollte erst gar keine Zahlen herausrücken. Zu erklärungsbedürftig sei das Ganze, so die Begründung. Auf Insistieren von Blick gibt die Axa schliesslich bekannt, dass 15 Prozent der Versicherten wohl eine Rentenkürzung in Kauf nehmen müssten. Rund 65 Prozent dürften «Aussicht auf eine höhere Rente» haben. Dies ergaben Modellrechnungen. Weitere Angaben – zum Beispiel, wie hoch der durchschnittliche Rentengewinn sein dürfte oder wie sich die finanziellen Auswirkungen je nach Branche unterscheiden, will die Versicherung nicht preisgeben.

Auch die Pensionskasse Proparis hatte nicht vor, ihre Berechnungen öffentlich zu machen. Doch sie gelangten zum «Tages-Anzeiger», der daraufhin berichtete, dass die BVG-Reform bei 58 Prozent der Proparis-Versicherten zu einer tieferen Rente führen würde. Proparis reagierte mit einer Kommunikationssperre zum Thema. Inzwischen ist bekannt, dass die Berechnung so nicht korrekt ist.

Weitere Kassen wollen nicht einmal eine grobe Schätzung abgeben, wie viele ihrer Versicherten betroffen sein dürften. Die Allianz beispielsweise schreibt, dass der Bestand von 75'000 Versicherten zu klein sei, um Aussagen treffen zu können. Auch die Stiftung Vita mit immerhin 200'000 Versicherten, die Pensionskasse der Baloise (100'000 Versicherte) und Asga (160'000 Versicherte) äussern sich nicht.

Andere Kassen sind transparent

Andere Pensionskassen geben offener Auskunft. Mehrere Vorsorgeeinrichtungen sagen auf Anfrage von Blick, dass die Reform auf ihre Versicherten gar keine unmittelbaren Auswirkungen habe, weil ihre Vorsorgepläne weit über das gesetzliche Minimum hinausgingen. Das sind vor allem Pensionskassen grösserer Firmen. So müssen beispielsweise Versicherte der Pensionskassen von Novartis, UBS, CS, SBB, Migros, Coop und der Post keine oder nur sehr geringe Rentenkürzungen befürchten. Dasselbe gilt für die Pensionskasse des Bundes.

Ganz anders ist das bei Kassen mit weniger üppigen Vorsorgeplänen. Bei der Pensionskasse der Groupe Mutuel sind über 6000 der 25'000 Versicherten nur im Minimum versichert, sie müssen mit einer Rentenkürzung rechnen.

Detaillierte Berechnungen hat die Tellco durchgeführt, laut eigenen Angaben eine der grössten unabhängigen Sammelstiftungen in der Schweiz. Sie versichert rund 100'000 Angestellte von gut 10'000 vor allem kleinen und mittleren Unternehmen. Laut Tellco würde die Reform für fast die Hälfte der fest angestellten Versicherten eine höhere Rente bedeuten. Etwa ein Viertel der Versicherten müsste hingegen mit einer Rentenkürzung rechnen, für das übrige Viertel wäre keine Veränderung zu erwarten.

Bauarbeiter gucken in die Röhre

Zu den Profiteuren gehören bei der Tellco beispielsweise Angestellte im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Detailhandel. Grund dafür ist, dass in diesen Branchen viele Frauen arbeiten. Männerdominierte Branchen sehen sich eher mit einer Rentenreduktion konfrontiert. Das betrifft überwiegend 40- bis 50-Jährige. Bauarbeiter beispielsweise gucken in die Röhre: Die Hälfte der Versicherten, die auf dem Bau arbeiten, müssten mit einer Rentenreduktion rechnen.

Allerdings sind diese Angaben mit Vorsicht zu geniessen, sie können nicht automatisch auf andere Pensionskassen übertragen werden. Ausserdem sind höhere oder tiefere Renten nur die eine Seite. Durch die Senkung der Altersgutschriften ändern sich bei vielen Versicherten auch die Lohnabzüge. «Erhält jemand beispielsweise 150 Franken weniger Lohn pro Monat und erhält dafür am Ende 8 Franken mehr Rente, muss man sich schon fragen, ob man das Rentenerhöhung nennen kann», sagt Gabriela Medici, Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds.

Alarmsignal für Gewerkschaften

Was sich generell sagen lässt: In der Tendenz profitieren Geringverdienende und Teilzeitarbeitende, die nicht oder kaum über das gesetzliche Minimum hinaus versichert sind. Darunter sind viele Frauen. Verlierer hingegen seien über 50-Jährige und die Mittelschicht – also Personen mit einem Monatslohn zwischen rund 5000 und 7000 Franken, sagt Medici.

Dass die Reform so komplex ist, dass sich selbst viele Pensionskassen nicht zu ihren konkreten Folgen äussern wollen, ist für die Gewerkschafterin ein Alarmsignal. «Brutal» sei das insbesondere für jene, die in den nächsten Jahren pensioniert werden. Ja oder Nein? Ihnen dürfte der Entscheid am 22. September besonders schwerfallen.

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