Verbandsdirektor kontert Kritik
Herr Müller-Brunner, was haben die Pensionskassen zu verstecken?

Die umstrittene BVG-Reform rückt die Pensionskassen in den Fokus. Lukas Müller-Brunner ist Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Im Interview verteidigt er die Geheimniskrämerei einiger Kassen und kontert die happige Kritik von Links.
Publiziert: 12.08.2024 um 01:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2024 um 07:38 Uhr
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Lukas Müller-Brunner ist Direktor des Pensionskassenverbands Asip.
Foto: Zvg
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Die Frage ist simpel, die Antwort nicht. Wer profitiert wirklich von der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG), die am 22. September zur Abstimmung kommt? Wie Blick berichtete, tun sich auch die Kassen selber schwer damit, deren Auswirkungen zu beziffern.

Darum geht es bei der BVG-Reform
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Lukas Müller-Brunner ist Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Im Interview nimmt er die Pensionskassen in Schutz. Und reagiert auf die happige Kritik aus dem linken Lager.

Herr Müller-Brunner, mehrere grosse Pensionskassen können oder wollen nicht sagen, welche Auswirkungen die BVG-Reform auf ihre Versicherten hätte. Was haben die Pensionskassen zu verstecken?
Lukas Müller-Brunner:
Ich habe Verständnis dafür, wenn die Kassen keine allgemeingültigen Aussagen machen. Die Pensionskasse funktioniert nicht wie die Krankenkasse, wo es eine Grundversicherung gibt und daneben separate Zusatzversicherungen. Fast jede Pensionskasse bietet mehr als das gesetzliche Minimum an. Wenn man deshalb die Auswirkungen der Gesetzesänderungen kennen will, muss man jeden Einzelfall anschauen. Das machen die Kassen selbstverständlich, sollte die Reform in Kraft treten und die genaue Umsetzung bekannt sein. Aber heute können wir die Frage nicht immer pauschal beantworten. 

Eine schwierige Ausgangslage für die Stimmenden. Sie müssen die Katze im Sack kaufen.
Keineswegs. Sehen Sie, im Kern geht es bei dieser Reform um eine dauerhafte Stärkung der zweiten Säule. Erstens passen wir den Umwandlungssatz an die gestiegene Lebenserwartung an. Zweitens versichern wir Teilzeitbeschäftigte und Angestellte mit mehreren Arbeitgebern besser. Die allermeisten Kassen haben diese Neuerungen im Überobligatorium, wo sie mehr Freiheiten haben, schon eingeführt. Nun geht es darum, auch das gesetzliche Obligatorium mit der Realität in Einklang zu bringen.

Zumindest indirekt betroffen sind doch viel mehr Angestellte. Man fragt sich schon, weshalb einige Pensionskassen so mauern – und vorhandene Schätzungen nicht öffentlich machen wollen.
Nun, es gibt Kassen, die wollen sich vor keinen politischen Karren spannen lassen. Zudem lebt unsere direkte Demokratie davon, dass man die eigene Abstimmungsentscheidung auch ohne direkte Betroffenheit fällt. Entscheidend ist, ob man die berufliche Vorsorge generell stärken will.

Vertreter der Pensionskassen

Lukas Müller-Brunner (42) ist seit einem Jahr Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Er vertritt die Interessen von über 900 der rund 1300 Pensionskassen in der Schweiz. Betriebswissenschaftler Müller-Brunner war zuvor beim Arbeitgeberverband tätig und hat an der Uni St. Gallen zum Thema Vorsorge geforscht und gelehrt.

Lukas Müller-Brunner (42) ist seit einem Jahr Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Er vertritt die Interessen von über 900 der rund 1300 Pensionskassen in der Schweiz. Betriebswissenschaftler Müller-Brunner war zuvor beim Arbeitgeberverband tätig und hat an der Uni St. Gallen zum Thema Vorsorge geforscht und gelehrt.

Nicht alle Pensionskassen stehen hinter der Reform. Ihr Verband ist nicht begeistert vom Kompromiss, der nun auf dem Tisch liegt. Was stört Sie am meisten?
Für einige unserer Mitglieder ist der Knackpunkt, wie wir mit der Übergangsgeneration umgehen. Unbestritten ist zwar, dass wir sofortige Renteneinbussen für die über 50-Jährigen irgendwie abfedern wollen. Unser Verband macht kein Geheimnis daraus, dass wir dabei eine weniger grosszügige Variante bevorzugt hätten. Aber am Ende steht nicht die Frage auf dem Abstimmungszettel, ob man eine bessere Idee hat. Sondern ob wir Ja oder Nein zum gesamten Paket sagen.

Und Sie sagen zähneknirschend Ja.
Wir stellen uns hinter den politischen Kompromiss. Nach 20 Jahren und mehreren vergeblichen Anläufen ist eine Reform der zweiten Säule überfällig.

Trotz Ihrer Bedenken: Gegner sagen, die wirklichen Gewinner der Reform seien die Versicherungskonzerne.
Das ist sehr weit an den Haaren herbeigezogen. Die berufliche Vorsorge ist eine Sozialversicherung, sie macht keine Gewinne. Aber das Geld der Versicherten zu verwalten und dazu beispielsweise Fachleute anzustellen, ist auch für eine Pensionskasse nicht gratis. Die Frage ist darum nicht, ob die Vorsorge etwas kostet. Sondern, ob der Preis für die gebotenen Leistungen stimmt.

Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm wirft den Pensionskassen vor, zum «Selbstbedienungsladen für Banken und Hedgefonds geworden zu sein». Sie würden viel zu hohe Verwaltungsgebühren kassieren. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Das ist fernab der Realität – und eine Verunglimpfung der zweiten Säule! Das Preis-Leistungsverhältnis in der zweiten Säule kann sich sehen lassen: Im langjährigen Schnitt betragen die Gebühren für die Verwaltung der Gelder der Versicherten etwa 0,5 Prozent. Im Vergleich zum Altersguthaben entspricht das in etwa den Kosten einer Papiertragetasche, wenn ich für 60 Franken im Migros einkaufe. Wenn ich die Verwaltungskosten der Pensionskassen international oder mit den Kosten eines Privatanlegers vergleiche, ist das sehr günstig. Die ganze Kostendiskussion ist eine reine Nebelpetarde. 

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«Herrn Strahms Forderungen nach mehr Transparenz sind seit über zehn Jahren Realität.»
Lukas Müller-Brunner, Präsident Pensionskassenverband Asip
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Die Branche wehrt sich aber auch da gegen Transparenz. Warum?
Das stimmt nicht. Herrn Strahms Forderungen nach mehr Transparenz sind seit über zehn Jahren Realität, wie auch die oberste Aufsichtsbehörde bestätigt. Jede Pensionskasse weist in der Jahresrechnung aus, wie hoch die Gebühren sind. Diese kann man bei seiner Pensionskasse verlangen oder auf der Webseite einsehen.

Die Gebühren-Unterschiede zwischen den Kassen sind riesig. Wie lässt sich das erklären?
Es ist gerade die Stärke der zweiten Säule, dass jede Pensionskasse anders anlegt – und die Kosten deshalb variieren. Die Pensionskasse der Swissair beispielsweise, bei denen alle Versicherten längst pensioniert sind, hat ein ganz anderes Risikoverhalten als die Pensionskasse eines Startups. Das heisst aber nicht, dass die Kasse mit den höheren Kosten schlechter ist. 

Die Abstimmung zeigt, wie komplex und undurchschaubar die zweite Säule ist. Es gibt 1300 Pensionskassen. Müsste man das System nicht von Grund auf vereinfachen?
Ich stimme Ihnen zu: Die Komplexität steigt. Aber dafür funktioniert das System. Weil jede Pensionskasse je nach Anforderungen ihrer Versicherten anders reagieren kann, werden massgeschneiderte Lösungen erst möglich. Zugleich gibt der Staat einen Mindestrahmen vor, der wie ein Auffangnetz für alle funktioniert.

Als Angestellter hat man keine Wahl, wo man versichert ist. Was spricht gegen eine Wahlfreiheit bei der Pensionskasse, wie sie immer mal wieder gefordert wird?
Das wäre der Tod der zweiten Säule! Sie hat ihre Daseinsberechtigung gerade darin, dass sie eine Risikogemeinschaft ist von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Würde der Arbeitgeber zu einem reinen Finanzierer, könnte er nicht mehr mitgestalten und würde darum auch nicht mehr bereit sein, ein Risiko zu tragen. Ohne diese Beteiligung würde unsere Altersvorsorge nur noch von zwei Pfeilern getragen: der staatlichen AHV und der privaten Vorsorge. Wir sollten uns davor hüten, unser bewährtes 3-Säulen-System zu opfern. 

Die Reform aber, die nun zur Debatte steht, hat es schwer. Was, wenn sie abgelehnt wird?
Das wäre zumindest kein Weltuntergang. Denn die Pensionskassen haben dort, wo sie Handlungsspielraum haben, bereits ihre Hausaufgaben gemacht. Und sie werden das auch künftig tun.

Warum braucht es dann überhaupt eine Änderung?
Wir müssen unsere Verantwortung auch gegenüber diejenigen Personen wahrnehmen, die nur obligatorisch versichert sind. Jemand mit drei Teilzeitjobs hat heute keine Chance, in der obligatorischen Vorsorge auf einen grünen Zweig zu kommen. Das aktuelle Gesetz stammt aus dem Jahr 1985, das BVG braucht schlicht ein Update.

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