Umstrittene BVG-Reform
Erste SVP-Sektionen scheren aus

Bei der Pensionskassen-Reform sind die Fronten brüchig. In der SVP tanzen die Sektionen Solothurn und Unterwallis als erste mit einer Nein-Parole aus der Reihe. Weitere Kantonalparteien könnten folgen. Doch auch auf der Gegenseite gibt es grüne Abweichler.
Publiziert: 23.08.2024 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2024 um 11:14 Uhr
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SVP-Ständerätin Esther Friedli führt das gewerbliche Nein-Komitee an.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Erste SVP-Sektionen tanzen bei der BVG-Reform aus der Reihe
  • Auch bei den Grünen gibt es Abweichlerinnen
  • Am 22. September kommt es zum Abstimmungskrimi
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Am 22. September kommt es zum Showdown um die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Wie schon beim letzten Reformversuch im Jahr 2010 wollen Linke, Grüne und Gewerkschaften die Senkung des Umwandlungssatzes verhindern. Die Bürgerlichen kämpfen dafür.

Doch so klar sind die Fronten dann doch nicht. Wie schon 2010 zeigen sich Risse in der SVP. Sechs Kantonalsektionen stellten sich damals mit einer Nein-Parole gegen die Mutterpartei, eine Sektion setzte auf Stimmfreigabe.

Nein-Sager in der SVP

Nun könnte sich das Szenario wiederholen. Den Auftakt dazu machen die SVP Solothurn und Unterwallis. In Solothurn beantragte die Parteileitung der Mitgliederversammlung vom Donnerstagabend die Nein-Parole. Die SVP-Basis folgte mit 62 zu null Stimmen bei drei Enthaltungen.

Der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark (42) hatte im Nationalrat noch den Ja-Knopf gedrückt, jetzt kämpft er für ein Nein. «Ich war damals schon kritisch», sagt Imark zu seinem Gesinnungswandel. Mittlerweile gewichtet er die Nachteile stärker.

«Es ist eine Reform auf dem Buckel der Kleinunternehmer, wie ich selbst einer bin», so der Festzelt- und Baumobiliar-Vermieter. «Sie bringt uns höhere Kosten, mehr Bürokratie und weniger Flexibilität.» Damit liegt Imark ganz auf der Linie des gewerblichen Nein-Komitees, das von SVP-Ständerätin und Gastronomin Esther Friedli (47) angeführt wird.

Darum geht es bei der BVG-Reform
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Baume-Schneider erklärt an MK:Darum geht es bei der BVG-Reform

Auch die Unterwalliser SVP lehnt die Reform ab, wie SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor (60) dem Blick bestätigt: «Der Parteivorstand hat mit 16 zu zwei Stimmen die Nein-Parole beschlossen.» Er stört sich an den Zusatzkosten für das Gewerbe ebenso wie am Umverteilungsmechanismus der Rentenzuschläge.

«Praktisch alle zahlen dafür, aber nur weniger profitieren davon», moniert Addor. Man müsse nun den Mut haben, diese schlechte Reform abzulehnen und die Arbeit neu zu beginnen. Dafür könne man sich Zeit lassen. «Es herrscht nicht dieselbe Dringlichkeit wie bei der AHV.»

In den kommenden Tagen könnten sich weitere SVP-Sektionen ins Nein-Lager gesellen. Schon am nationalen Parteitag verweigerte fast ein Viertel der Delegierten die Ja-Parole. Und gemäss der jüngsten SRG-Trendumfrage ist die SVP-Basis tief gespalten: 46 Prozent würden derzeit für die Vorlage stimmen, 42 Prozent dagegen. Eine Tamedia-Umfrage sieht sogar 60 Prozent der SVP-Sympathisanten im Nein und nur 30 Prozent im Ja.

Grüne Ja-Abweichler

Doch auch auf der Gegenseite gibt es abweichende Stimmen. Allen voran die grüne Ständerätin Maya Graf (62): Die Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F hat sich bereits im Parlament für ein Ja exponiert. «Die BVG-Reform ist ein Kompromiss, aber er ist ein Meilenstein für die Frauen», sagt sie. «Frauen und Teilzeitarbeitende sind endlich gleich gut versichert, können eigenes Rentenkapital ansparen und sind im Rentenalter unabhängiger, etwa von Ergänzungsleistungen.» Die Baselbieter Kantonalsektion hat sie damit hinter sich geschart. 

Auch die St. Galler Grünen tanzen aus der Reihe und haben Stimmfreigabe beschlossen. Ihre Nationalrätin Franziska Ryser (32) engagiert sich sogar im Ja-Komitee. 

Abstimmungskrimi erwartet

So zerrissen wie bei der letzten gescheiterten BVG-Reform 2010 ist die Parteienlandschaft dann aber doch nicht. Damals scherten auch bei Mitte, FDP oder GLP vereinzelt Sektionen aus. In der Volksabstimmung war das Resultat deutlich: 72,7 Prozent lehnten die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes auf 6,4 Prozent ab.

Das sind die Eckwerte der Pensionskassen-Reform

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

Mit der jetzigen Reform wird der Umwandlungssatz von aktuell 6,8 sogar auf 6 Prozent gesenkt. Im Gegenzug sind diesmal aber Ausgleichsmassnahmen vorgesehen. Der Abstimmungsausgang wird am 22. September daher knapper ausfallen, wie sich in den jüngsten Umfragen abzeichnet. Damit steht ein weiterer Abstimmungskrimi an. 

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