Wir sassen mit hängenden Köpfen am Esstisch, auf dem sich etwas lustlos Aluminiumschalen und Kartonschachteln stapelten. 60 Tamales, gefüllte Maisbreirollen, hatte ich bestellt, drei verschiedene Kuchen, diverse Salate und zwei Kisten «Bubbly». Eine Flasche wurde gerade im Gefrierfach notgekühlt.
«Stell den Wecker. Nicht, dass er uns einfriert», mahnte meine Kindergartenfreundin Jojo, die extra für meinen Geburtstag aus der Schweiz angereist war. Wie auch meine Jugendfreundin Sus. Beide hatten sich das Wochenende wohl etwas anders vorgestellt.
Ich mir auch.
Seit dem Vorabend hatte sich Victors Zustand wieder verschlechtert, seine Ärztin meinte aber, er könne sich diesmal hoffentlich zu Hause auskurieren. Dass sich eine einfache Infektion, egal welcher Art, zu einem gefährlicheren Problem auswächst, ist für Transplantierte eine Realität, mit der sie leben müssen. (Einen Tag später wurde er dann doch ins Spital eingeliefert, doch während ich diese Kolumne schreibe, ist das Schlimmste schon überstanden.)
Mehr von Milena Moser
Der Handywecker erinnerte uns daran, die Proseccoflasche aus dem Kühlfach zu nehmen, da stand plötzlich Adam in der Stube, ein junger Musiker, den Victor schon als Kind kannte.
«Ich bin etwas früher gekommen, um zu helfen!» Er hat meine Nachricht nicht bekommen: Adam schaltet am Freitagabend alle elektronischen Geräte aus. Das führt fast jede Woche zu Missverständnissen und verpassten Gelegenheiten, die er achselzuckend hinnimmt. «Ich nenne das die samstäglichen Fügungen», sagt er. «Es kommt immer anders als geplant, aber am Ende meist sogar besser heraus.» Er überlegt kurz. «Doch, es stimmt: Es ist tatsächlich noch nie etwas Blödes oder Unangenehmes passiert, weil ich das Telefon nicht anhatte. Im Gegenteil!» Das gibt uns zu denken. Die Idee, die elektronischen Geräte mindestens für 24 Stunden in der Woche auszuschalten, ist auch ausserhalb eines religiösen Zusammenhangs verlockend. Könnten wir das auch?
Adam ist nicht religiös aufgewachsen, hat sich aber mit 18 kurz einer sehr konservativen Gruppierung angeschlossen. «Ich liebte die strengen Regeln», sagt er. «Aber Frauen liebe ich noch mehr.» Das meint er nicht anzüglich, sondern politisch. Seine Mutter und Grossmutter sind Feministinnen, seine Werte liessen sich mit den Grundsätzen der Gruppe nicht vereinbaren. Seither sucht er seinen eigenen Weg zwischen diesen beiden Polen. Jeden Freitag kocht er für seine Freunde, die nicht nur nicht religiös, sondern auch wie er erst Anfang zwanzig sind. Sie trinken Unmengen von dem nicht gerade billigen koscheren Wein, sie helfen nicht beim Aufräumen. Adam seufzt wie ein uralter Mann. «Jede Woche muss ich sie dran erinnern, etwas mitzubringen. Und jetzt sitze ich wieder mit acht Familienpackungen Chips da!» Was uns daran erinnert, dass wir auch eine Unmenge Essen da haben. «Wolltest du nicht helfen?»
Adam opfert sich und verschlingt einen Berg Tamales.
Dann klingelt es an der Tür. Eine alte Freundin, die ich lange nicht gesehen habe, steht vor mir, einen Blumenstrauss in der Hand. Ich muss vergessen haben, ihr abzusagen. Was für eine glückliche Fügung!