Neulich sass ich im Kino und schluckte leer. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Film («Glow» von Gabriel Baur) war wunderbar. Aber da war Ursula Rodel, die unvergessene Schweizer Designerin, und sprach über ihre Muse und Freundin Irene Staub. Während des Gesprächs kramte sie immer wieder ganze Stapel Notizbücher hervor, Skizzen, Hunderte von Polaroidaufnahmen, gerahmte Briefe. Ihr ganzes Leben war dokumentiert. Ihr ganzes Werk.
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Und da war ich einen Moment lang neidisch. Denn ich selbst habe so gut wie nichts aufbewahrt. Ich bin ungeduldig und rastlos. Schon vor meinem Umzug nach Amerika, dem eine radikale Reduktion meiner Besitztümer vorausging, habe ich immer wieder Dinge weggeworfen, entsorgt, verschenkt. Und selten etwas vermisst. Was ich im Kino empfinde, ist nicht Neid, sondern Wehmut. Ich vermisse die Zeit, die der Film heraufbeschwört. Die Zeit, in der ich jung war. Ich war damals allerdings, im Gegensatz zu diesen Frauen, alles andere als cool oder wild, geschweige denn Punk. Trotzdem erkannte ich mich in Ursulas Worten wieder.
«Wir haben uns nicht so viel überlegt», sagte sie (sinngemäss, ich habe nicht mitgeschrieben). «Wir haben einfach gemacht, was wir machen wollten. Und klar, manchmal fielen wir auf die Fresse damit, aber das war egal. Meist kam es ja gut.»
Das traf mich wie ein Messer – ein Buttermesser. Ein Schokoladenmesser, wenn es so etwas gäbe. Es war ein süsser Schmerz, ein wehmütiger, nostalgischer. Ja, genau so war es. So waren wir. Nicht nur die Galionsfiguren der Szene, auch die gschtabigen Mitläuferinnen. Es gäbe mich heute nicht, wenn sich diese wilde Unbekümmertheit nicht auf mich übertragen hätte. Diese Frauen, die ich schon damals bewunderte, schafften eine Atmosphäre, in der es nicht nur möglich war, sich auszuleben, auszuprobieren, auszudrücken. Es wurde geradezu erwartet. Ich kann mich an kein einziges im Laden gekauftes Geschenk aus dieser Zeit erinnern. Wir bastelten alles selber, nicht nur, weil wir kein Geld hatten, sondern weil es Spass machte. Ich töpferte damals, nähte Kleider, klebte Collagen, obwohl ich nicht die geringste Begabung dafür hatte. Aber das war egal. Es ging nicht darum, «gut» zu sein oder gar erfolgreich. Es ging darum, diesem inneren Drang nachzugeben, etwas zu erfinden, zu erschaffen, zu machen. Selber. Wie Kinder.
Heute kommen manchmal Schreibwillige zu mir, die mich nach Zielgruppenforschung und Marketingsegmenten fragen, nach Erfolgshochrechnungen und Verdienstchancen. Die bleiben nie lange, aber sie hinterlassen immer einen seltsamen Nachgeschmack. Denn ein kleiner Teil von mir fragt sich manchmal schon, ob ich nicht einfach naiv bin oder hoffnungslos der Zeit hinterherhinke.
Oder beides.
Doch als ich nach dem Kino nach Hause komme, fällt mir ein, dass ich ein paar Dinge ja schon aufbewahrt habe. Ich muss ein bisschen suchen, aber dann finde ich zwei vergilbte Ausgaben eines Magazins, das wir damals aus dem Boden gestampft hatten, weil niemand unsere Sachen drucken wollte. Es hatte eine Auflage von 250 Exemplaren. Einmal küssten wir jedes einzelne mit Lippenstift. All die Jahre später, als ich das Heft wieder in der Hand halte, erfüllt mich dasselbe Gefühl wie damals. Es hat mich wohl nie ganz verlassen. Alles ist immer noch möglich.