Es war an einer Gartenparty oder vielleicht auch im Garten einer Galerie, ich weiss es nicht mehr. Ich unterhielt mich mit einer Frau, die ich nicht kannte, wir machten Smalltalk, doch ich muss mehr gesagt haben, als mir bewusst war. Sie legte den Kopf schief, und ihre Augen füllten sich mit Mitleid. Oder Mitgefühl. So oder so war es mir peinlich. Sie fragte mich, wie alt ich sei, dann nahm sie meine Hand und drückte sie.
«Ich versprech dir, es wird alles besser. Es wird leichter. Schau mich an, ich bin 63!»
Wie auf Stichwort trat ein charmanter Mann zu ihr. Er reichte ihr ein Glas Champagner, und dann zogen die beiden weiter. Ich schaute der Frau nach wie einer Erscheinung, in ihrem langen gelben Sommerkleid, mit dem passenden Strohhut, dem netten Mann an ihrer Seite. Und ich fasste Hoffnung.
Tatsächlich wurde bald alles besser. Nicht unbedingt einfacher, aber besser. Im Sinn von «mehr meins». Ich bin präsenter, klarer und konzentrierter geworden. Mehr mich selbst. Und das Leben belohnt mich mit einem Glanz, den ich früher nicht wahrgenommen habe. Der Alltag, auch wenn er zu oft in Notaufnahmen und Krankenzimmern stattfindet, ist voller winziger Funken und Splitter der Freude, der Dankbarkeit. Kann es wirklich noch besser werden?
Jane Fonda nennt die Zeit nach sechzig «den dritten Akt». Dieser sei im Theater der wichtigste, der, in dem sich alles zusammenfügt und Sinn ergibt. Eine theaterkundige Freundin widerspricht dem allerdings. «Quatsch», sagt sie. Viel wichtiger als der dritte Akt sei doch die Peripetie, der Wendepunkt, der unerwartete Umschwung des Glücks. «Und den hattest du ja schon.»
Das stimmt. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass da noch was kommt. Was, das weiss ich auch nicht. Aber wenn wirklich noch etwas brachliegt in mir, noch ungelebt, unerfüllt, unausprobiert ist: Jetzt ist der Moment. Jetzt oder nie. Sechzig hat eine Dringlichkeit, die ich mit fünfzig nicht empfand. Sechzig ist ein Abenteuer.
Jane Fonda hat sich seit ihrem sechzigsten Geburtstag als radikale Umweltaktivistin neu erfunden, die unzählige Male verhaftet wurde. So spektakulär muss es für mich nicht sein. Und auch nicht mit Leistung verbunden. Ich bin offen für alles. Vielleicht ist es ja Nichtstun. Oder Schlafen. Da hätte ich definitiv noch ungenutztes Potenzial!
Meine 91-jährige Freundin Connie hat für meine Ideen nur ein nachsichtiges Lächeln übrig. «Ach was, sechzig ist noch viel zu jung!» Für sie sind die letzten fünf Jahre die wichtigsten ihres Lebens. Das erstaunt mich, denn ich weiss, dass sie unter starken Schmerzen leidet, die sie zunehmend einschränken.
«Gerade deshalb», erklärt sie. «Ich kann nichts tun, ich kann mir nicht ausweichen, ich bin auf mich zurückgeworfen. In Gedanken streife ich durch mein Leben, durch meine Erinnerungen, ich sortiere sie, ich erkenne Ursachen und Zusammenhänge. Ich verzeihe mir vieles.»
Sie überlegt einen Moment. «Es ist eine Zeit der Hoffnung. Ich möchte die Zeit, die ich hatte, verstehen, bevor sie zu Ende ist.» Dann grinst sie: «Alle sagen mir, ich müsse mein Haus entrümpeln, bevor ich sterbe. Stattdessen entrümple ich meine Seele.»