Ukraine-Krieg, Lieferkrise und Inflation
So übel wird 2022 für die Autobranche

Ukraine-Krieg, Lieferprobleme, steigende Preise und Nachwehen der Pandemie haben die Autoindustrie im Griff. Resultat dürfte ein Zehn-Jahres-Tief der Verkaufszahlen werden.
Publiziert: 17.05.2022 um 05:44 Uhr
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Aktualisiert: 17.05.2022 um 09:18 Uhr
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Im laufenden Jahr 2022 werden wohl nur 67,6 Mio. Neuwagen weltweit verkauft. Das wären 16,8 Mio. Autos oder knapp 25 Prozent weniger als noch 2017.
Foto: sagmeister potography
Andreas Faust

Im Jahr 2022 wollte die Autoindustrie durchstarten. Die Corona-Pandemie schien im Griff, die Chip-Lieferkrise im Abklingen, und bei der Kundschaft war Lust auf neue Modelle zu spüren – es sah günstig aus, die Krise durch Verkaufseinbrüche in den beiden Corona-Jahren abzuschütteln. Doch der Angriffskrieg gegen die Ukraine durchkreuzt alle Ambitionen. Die Prognosen für den weltweiten Absatz sehen gar noch düsterer als 2020 und 2021 aus.

Ferdinand Dudenhöffer (71), «Papst der Autobranche» und Leiter des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg (D), rechnet für 2022 mit einem Zehn-Jahres-Tief: Er prognostiziert nur 67,6 Millionen Neuwagen weltweit 2022. Das wären 16,8 Millionen oder knapp 25 Prozent weniger als noch im Jahr des Absatz-Allzeit-Hochs 2017. Zum Vergleich: Damit fallen Verkäufe in der Grössenordnung des europäischen Automarktes weg.

Selbst in China gehts abwärts

Grundlage seiner Analyse sind die Absatzzahlen von Januar bis April: In den USA sanken die Verkäufe um 17 Prozent, ebenso in Deutschland (–9%), Grossbritannien (–25%), Frankreich (–20%), Italien (–27%) und Spanien (–12%). Selbst am wichtigsten Automarkt der Welt, China, gings um vier Prozent abwärts. Auch in der Schweiz sanken die Absatzzahlen um 29,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Dudenhöffer schliesst daraus: «2022 wird ein rabenschwarzes Jahr für Neuwagenverkäufe.»

Die Gründe dafür: Produktionsausfälle, weil Teile ukrainischer Zulieferer fehlen. Die Knappheit an Containern und der Containerstau in den wegen Corona geschlossenen chinesischen Häfen. Gestörte Lieferketten aufgrund der Restriktionen in der Luftfahrt. Hinzu kommen die steigenden Preise bei Rohmaterial und Energie zur Produktion, die zu höheren Neuwagenpreisen führen. Weil gleichzeitig auch die Lebenshaltungskosten vor allem wegen der teureren Energie steigen, sinkt auch die Kauflaune der Kundschaft.

Lateinamerika leidet am wenigsten

Auf den asiatischen Märkten dürfte der Rückgang bei nur 2,4 Prozent liegen. Das heisst: Asien wird noch wichtiger, weil nun wohl rund 45 Prozent aller Autos weltweit dort verkauft werden. In Nordamerika befürchtet Dudenhöffer ein Minus von neun Prozent, in Europa von knapp über zehn Prozent. Die geringsten Einbrüche erwartet er in Lateinamerika: Dort werden oft Modelle mit einfacher Elektronik angeboten, die Chipmangel kaum trifft. Im Ländervergleich werde – wenig überraschend – der russische Automarkt mit minus 34 Prozent am stärksten einbrechen.

Auch wenn mangels Teilen nicht produziert wird, laufen die Kosten für die Werke weiter und werden auf die wenigen ausgelieferten Fahrzeuge umgelegt. «Das knappe Angebot ermöglicht diese Preissprünge», sagt Dudenhöffer. Rabatte für Endkunden? Das war einmal. Die Auswirkungen der höheren Lebenshaltungskosten und auch des Ukraine-Kriegs werde man in den kommenden Jahren noch deutlich spüren: Die Mittel für steigende Rüstungsausgaben fehlen künftig im Wirtschaftskreislauf, bremsen das Bruttosozialprodukt aus und sorgen für mehr Steuerlast.

Folgen noch Jahre spürbar

Jetzt fehlen die Autos, so Dudenhöffer, aber ab 2023 werde – auch nach einem möglichen Ende des Ukraine-Kriegs – die Kundennachfrage fehlen. Bis 2025 werde sich der globale Automarkt erst auf rund 75,4 Mio. Autos im Jahr erholen – rund neun Millionen weniger als im Boomjahr 2017.

Doch die derzeitige Absatzkrise werde die Firmen nicht zwangsläufig in die Verlustzone stürzen: «Für die Autobauer muss der neuerliche Einbruch des Automarkts nicht unbedingt eine schlechte Gewinnnachricht sein», so Dudenhöffer. Auch im Corona-Jahr 2021 hat manche Marke Rekordgewinne verbucht. Und die Ergebnisse des ersten Quartals 2021 zeigten laut Dudenhöffer, dass «man mit zeitweise stillstehenden Bändern gute Gewinne machen kann.» Dieses Kuriosum habe es früher nie gegeben.

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