Rückzug wegen Ukraine-Krieg?
Autobauer stoppen Produktion in Russland

Der Krieg in der Ukraine hat unmittelbare Auswirkungen auf den Automobilstandort Russland. Präsident Putin legt nicht nur das Nachbarland in Trümmer, sondern auch seinen eigenen Automarkt. Die wirtschaftlichen Aussichten sind ruinös.
Publiziert: 07.03.2022 um 15:54 Uhr
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Mercedes stoppt die Produktion in seinem Werk Moscovia in der Nähe von Moskau.
Foto: Daimler AG
Wolfgang Gomoll

Noch vor drei Jahren herrschte Harmonie in Moskau, als Mercedes 2019 ein neues Werk nahe der russischen Hauptstadt eröffnet. Dazu reisten eigens der damalige Mercedes-Boss Dieter Zetsche (68) und Deutschlands Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (63) an, um gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) auf den Start-Knopf für die Produktion zu drücken.

Mercedes hatte über 250 Millionen Euro investiert und beschäftigt über tausend Mitarbeiter in der Fabrik. Das Ziel der Stern-Marke: Dort produzieren, wo sich die Kunden befinden sowie gemeinsam mit dem Zukunftsmarkt Russland wachsen und Geld verdienen. Aus heutiger Sicht ist dieser Plan gescheitert.

Produktion in Russland steht still

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stellt Mercedes die Fertigung in Russland ein und wird auch keine Autos mehr nach Russland exportieren. Identische Massnahmen ergreifen BMW, Toyota und VW. So hat BMW sein Werk in Kaliningrad geschlossen. Für die beiden deutschen Edelmarken sind die wirtschaftlichen Folgen bei 49'000 (BMW) und 50'000 (Mercedes) verkauften Autos pro Jahr aber überschaubar.

Etwas gravierender sieht die Situation bei Volkswagen aus. Der Konzern hat einen Marktanteil von zwölf Prozent und verkaufte im Jahr zuletzt über 200'000 Autos in Russland. «Der Grad der Auswirkungen auf unsere Geschäftstätigkeit wird fortlaufend durch Experten in einer konzernweiten Taskforce ermittelt. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir auf Sicht fahren müssen und die Lage kontinuierlich neu bewerten. Bereits betroffen sind die Lieferketten einiger deutscher und auch europäischer Werke», lässt Volkswagen verlauten.

Wie Mercedes stoppte der VW-Konzern die Produktion in und den Export von Fahrzeuge nach Russland. Immerhin für die Angestellten in den Werken von Kaluga bei Moskau und Nischni Nowgorod hat Volkswagen eine gute Nachricht: Die Löhne werden vorerst weiterbezahlt.

Mit Russland verwoben

Am stärksten betroffen von den Wirtschaftssanktionen dürfte aber die Renault-Gruppe sein. Die russischen Autobauer Avtovaz und Lada gehören dem französischen Hersteller. Dessen Zukunftsstrategie Renaulution sieht vor, dass Avtovaz und Dacia näher zusammenrücken und die gleiche Plattform nutzen, um jährlich mehr als eine Million Autos zu produzieren. Basierend darauf plant Avtovaz fünf neue Modelle bis 2025. 2024 soll der neue Lada Niva auf den Markt kommen.

Was die Sanktionen und der Krieg in der Ukraine für diese Pläne bedeuten, lässt sich noch nicht abschätzen. Auto-Experte Jan Dannenberg (55) von der Beratungsfirma Berylls sagt aber: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein europäischer Hersteller wie Renault einfach sagt: Wir machen weiter wie bisher. Wenn sich seitens der russischen Regierung und des Krieges nichts Wesentliches ändert, wird es zu einem Abbruch der Geschäftsbeziehungen kommen.» Dann könnte die Renault-Gruppe die beiden russischen Marken abstossen und verkaufen.

Russische Werke plötzlich wertlos

Mittelfristig könnten bei den europäischen Autoherstellern auch die Werke in Russland auf dem Prüfstand stehen. Professor Stefan Bratzel (55), Direktor des Center of Automotive Management (CAM), stellt fest: «Das Anlagevermögen von Automobilherstellern und Zulieferern dürfte in Russland erheblich an Wert verlieren.» Der Rubel fällt ins Bodenlose, und die US-Ratingagenturen Fitch und Moody's haben Russlands Kreditwürdigkeit mittlerweile auf Ramsch-Niveau herabgesetzt.

Der sowieso schon überschaubare russische Automarkt mit 1,67 Millionen verkaufter Autos dürfte damit in sich zusammenfallen und zum Provinzschauplatz verkommen. Verschiedene Experten gehen davon aus, dass in Russland vorerst unter einer Million Autos verkauft werden. Dabei trifft auch der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift die Autobranche, wie VW schreibt. «Wir gehen davon aus, dass es zu stärkeren Einschränkungen im Zahlungsverkehr mit russischen Importeuren und russischen Lieferanten kommen kann.» Das könnte dazu führen, dass russische Auto-Händler auf Barzahlung bestehen.

Chinesen in Lauerstellung

Trotz allem ist anzunehmen, dass die Hersteller ihre Geschäfte in Russland nur sistieren und sich nicht komplett aus dem russischen Markt zurückziehen. Denn die chinesischen Hersteller warten schon und wittern ihre Chance. Aber solange ein Regime das Sagen hat, bei dem kriegerische Auseinandersetzungen als legitimes Mittel der Politik angesehen werden, wird die Automobilindustrie auf absehbare Zeit kaum im grossen Stil in Russland investieren.

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