Es ist viel passiert seit dem letzten Match von Dominic Stricker (21) vom 1. Dezember. Der um ein Jahr ältere Jannik Sinner hat sich zum Australian-Open-Champion gekürt, der gleichaltrige Schweizer Kumpel Leandro Riedi hat zwei Challenger-Turniere gewonnen – und zuletzt hat der ein Jahr jüngere Italiener Luca Nardi in Indian Wells die Weltnummer eins, Novak Djokovic (36), geschlagen.
Während seine Generation für Furore sorgt, muss Stricker von daheim aus zuschauen. An den NextGen-Finals in Saudi-Arabien hatte er Anfang Dezember im Halbfinal aufgeben müssen, wenig später erkärte er Forfait für die Australian Open, bei denen er erstmals überhaupt in seiner Karriere fix im Hauptfeld gestanden hätte. Eine Verletzung am unteren Rücken hat den steilen Aufstieg des Tennis-Shootingstars aus Grosshöchstetten BE jäh gestoppt. Es ist ein herber Rückschlag für den Youngster, der im Vorjahr seine Grand-Slam-Premieren in Roland Garros, Wimbledon und New York gefeiert hatte – und an letzterem Ort durch seine coole Gesangseinlage beim Sieg über Stefanos Tsitsipas viral gegangen war.
Seit Wochen wartet Stricker auf sein Comeback. Erste Rückkehr-Versuche in Lille (Fr) und Lugano mussten verschoben werden, zuletzt sagte er auch für Zadar (Kro) ab. Nun heisst es: Vor April geht sicher nichts. Womit auch ein fixes Hauptfeld-Ticket für die French Open ausser Reichweite sein dürfte, zumal Stricker im Ranking mittlerweile auf Platz 118 abgerutscht ist.
«Schlicht nicht gesund»
Abwarten, lieber vorsichtig sein, lässt das Lager des Berners verlauten. Vater und Manager Stephan Stricker sagt: «Domi ist noch jung – und es ist jetzt wichtiger, einen sauberen Aufbau zu machen, als möglicherweise gesundheitlich etwas zu riskieren.» Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (65) stimmt dem zu: «Es ist klug, im Zweifel etwas länger zu warten, zumal es sich beim Rücken stets um eine heikle Körperstelle handelt.»
Günthardt, langjähriger Captain des Schweizer Billie-Jean-King-Cup-Teams und Ex-Profi, verweist auf das grundsätzliche Problem, das Tennisspieler früher oder später mit Rücken und Hüfte bekommen: «Profitennis ist hierfür schlicht nicht gesund. Die ständigen Stoppbewegungen, die verschiedenen Winkel und Stellungen, in die man während des Tennisspielens kommt, können mit der Zeit ordentlich einfahren.»
Und Günthardt führt weiter aus: «Hinzu kommt, dass die Seite des Schlagarms durchs Tennisspielen zwangsläufig viel mehr Muskelmasse ansetzt – man denke nur einmal an den linken Arm von Rafael Nadal (37). Diese Einseitigkeit führt zu Fehlbelastungen, die oft zu Problemen mit der Hüfte und dem Rücken führen.»
Bei Stricker verhalte es sich aktuell ähnlich wie bei der jüngeren Version von Nadal, der ebenfalls früh mit Verletzungen zu kämpfen hatte: «Eine Karriere zu 100 Prozent schmerzfrei zu absolvieren, geht auf diesem Niveau einfach nicht. Das heisst, du musst einen Weg finden, deine körperlichen Probleme zu managen. Die Frage ist: Wie mache ich es am besten, damit meine Laufbahn möglichst lange andauert?»
«Hoffe, dass sie die richtige Dosis finden»
Im Falle von Stricker, der schon im Vorjahr immer wieder mit kleineren Blessuren zu kämpfen hatte, würde es aktuell aber Sinn machen, die Rückenverletzung lange genug ausheilen zu lassen: «Die Geduld kann sich für ihn auszahlen, wenn er dafür bei seinem Comeback wieder voll und unbeschwert angreifen kann. Ich bin mir sicher, sein Team wird sich das genau überlegt haben. Und ich hoffe, dass sie die richtige Dosis für die Dauer der Pause finden. Denn gewisse körperliche Probleme kann man während einer Karriere leider nicht eliminieren.»
Wann Stricker tatsächlich zurückkehrt, bleibt abzuwarten. Allerdings: Sollte er noch länger ausfallen, gäbe es ab einem gewissen Zeitpunkt einen Rettungsanker, der Stricker in seiner Ranglisten-Notlage Halt geben würde. «Dann könnte das Protected Ranking ein Thema werden», meint Günthardt. Also die «geschützte» Weltranglistenposition, die beantragt werden kann, wenn die Verletzung sechs Monate oder länger andauert.
Würde Stricker davon Gebrauch machen, hiesse dies, dass er bis Juni keine Spiele mehr bestreiten würde. Dafür stünde er dann für die nächsten neun Monate – oder die ersten neun gespielten Turniere – wieder mit seinem alten Top-100-Ranking da, das sich um Platz 90 bewegen würde. Es wäre wenigstens ein kleiner Trost nach dem bitteren Vollstopp.