In Italien steigt die grosse Rüebli-Party. Jannik Sinner (22) sorgt an den Australian Open mit seinem ersten Grand-Slam-Titel für Ekstase in seinem Heimatland. Die mittlerweile weltberühmten «Carota Boys», eine sechsköpfige Fangruppe, die sich gründete, nachdem Sinner einst beim Turnier in Wien eine Karotte als Snack verdrückte, hat ein grosses Public Viewing organisiert. Alle sollten sich in Turin für den grossen Tag des Südtirolers entsprechend kleiden – orange Rieseneuphorie!
Und Sinner liefert im Duell mit Daniil Medwedew (27) tatsächlich. Mit einer fulminanten Aufholjagd nach 0:2-Satzrückstand (3:6, 3:6, 6:4, 6:4, 6:3) beschert er Italien den langersehnten ersten Major-Erfolg bei den Männern seit Adriano Panattas Roland-Garros-Sieg 1976. Geschichtsträchtig. «Sinner nella storia», titelt die «Gazzetta dello Sport».
Der Rotschopf aus dem Pustertal ist der erste Italiener, der in Melbourne triumphieren kann. Es ist die Krönung eines beeindruckenden Steigerungslaufes, den Sinner in den letzten Jahren an der Weltspitze hinlegte. Der 1,88-Meter-Schlaks ist zwar erst 22, aber er ist keiner, der mit dem Lift direkt ins Penthouse der Champions gefahren ist. Er nahm das Treppenhaus.
Sein um zwei Jahre jüngerer Kumpel Carlos Alcaraz hat im Vergleich zu ihm bereits zwei Grand-Slam-Titel in der Tasche und er kürte sich 2022 zur jüngsten Weltnummer eins der Geschichte. Sinner aber nahm Schritt für Schritt. Er gewann mit 19 seinen ersten ATP-Titel (in Sofia), stiess mit 20 erstmals in die Top 10 vor, mit 21 qualifizierte er sich erstmals für einen Grand-Slam-Halbfinal (in Wimbledon) und feierte seine Sieg-Premiere bei einem Masters-1000-Turnier (in Toronto). Und nun steht er mit 22 als Gewinner der Australian Open da.
Günthardt: «Es war nur eine Frage der Zeit»
Für Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (64) kommt dieser Steigerungslauf nicht überraschend. Der Captain des Schweizer Billie-Jean-King-Cup-Teams sagt: «Als ich Sinner das erste Mal sah, war er 17 und noch ein richtiger Sprenzel. Boris Becker oder Michael Chang beispielsweise gewannen in diesem Alter schon ein Major-Turnier. Doch sie waren im Gegensatz zu Jannik physisch schon fertig ausgebaut. Er hingegen brauchte erst die Zeit, bis er vom Bub zum Mann reifte.»
Und Günthardt führt aus: «Er gewann damals schon ein Challenger-Turnier (in Bergamo, d. Red.), weil er seine physischen Defizite spielerisch kompensieren konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er auch körperlich auf der Höhe sein wird – und so noch gefährlicher ist.»
Eine Würdigung kommt auch prompt von Alcaraz. Er schreibt unmittelbar nach Sinners Sieg in der Rod-Laver-Arena auf Instagram: «Du hast es mehr verdient als jeder andere.» Das sind bemerkenswerte Worte eines Freundes, aber eben auch Gegners. Viele Experten sehen in Sinner und Alcaraz die neue, ganz grosse Rivalität der Zukunft, in der Sinner übrigens mit 4:3 Siegen führt.
Und Eurosport-Co-Kommentator Nick Kyrgios (28) zeigt sich ebenfalls beeindruckt. Nach einem spektakulären Ballwechsel im fünften Satz beim Stand von 4:2 meint er nach dem Punktgewinn von Sinner: «Das ist ein Witz – Sinner ist der König!»
Nun, dieser Meinung sind sie in Italien auch. Nicht nur beim Fest der «Carota Boys».