Die Szene hat Kultpotenzial. Und sie hat ihn auf einen Schlag in der ganzen Sportwelt berühmt gemacht. Dafür, dass Dominic Stricker (21) kurz vor seinem grossen Sieg gegen Stefanos Tsitsipas (25) – beim Stand von 5:2 im fünften Satz – den Whitney-Houston-Song «I Wanna Dance with Somebody» mitsingt, wird er überall gefeiert. Wie cool kann man eigentlich sein? «Ich habe es einfach gefühlt», meinte «Domi» hinterher, nicht weniger lässig.
Und dann wiederholt sich die Geschichte bei seinem Drittrundensieg gegen den Franzosen Benjamin Bonzi (27) sogar noch einmal. Erneut im fünften Satz und wieder beim Stand von 5:2 ist Stricker auf seiner Bank zu sehen, wie er mit der Musik mitwippt. Diesmal zum Hit «Uptown Funk» von Bruno Mars. Verrückter Zufall oder ein gutes Omen in jenem Moment? Der US-Sänger gehört zu den Lieblingskünstlern des Schweizer Überraschungsmanns. Wieder gibt Stricker den Mr. Cool – und jubelt wenig später über den Achtelfinal-Einzug.
Bruno Mars ist nur einer von vielen Faktoren, die dem aufstrebenden Youngster aus Grosshöchstetten BE Kraft und den nötigen Ausgleich zum Tennis geben. Der richtige Sound auf den Ohren spielt aber durchaus eine grosse Rolle:
Sein Musikgeschmack
Bei «I Wanna Dance with Somebody» hat er sich textsicher gezeigt. Das ist kein Zufall. Der Song von Whitney Houston stammt aus dem Jahr 1987. Und Stricker steht auf 80er-Hits. «Manchmal, wenn er uns aus dem Auto anruft, ist im Hintergrund Vintage-Radio zu hören», erzählt Vater und Manager Stephan Stricker schmunzelnd. Auf seiner Playlist würden sich viele Genres befinden.
Stricker mag querbeet (fast) alles. Mal hört er Rap, dann wieder Michael Jackson. Dass er im Tsitsipas-Match in der entscheidenden Phase seinen Kopf mit dem Singen abgelenkt hat, sei auch für die Familie «lustig und herzig» gewesen, sagt Mutter Sabine: «Aber ich glaube auch, dass es ihm in jenem Moment geholfen hat. Es dürfte ihn lockerer gemacht haben.»
Seine Liebsten
Mama, Papa und Schwester Michèle verfolgen alle US-Open-Partien von Domi nach Möglichkeit zu Hause vor dem Fernseher und haben sich nach den sechs bisherigen Partien – von der Quali bis zur dritten Runde – schon ein ordentliches Schlafmanko eingehandelt. Den Match gegen Bonzi verfolgte die Familie im Tennisclub Dählhölzli zusammen mit Freunden. Mit dabei war ebenfalls Dominics Freundin Aline, die ihn im Juli auch schon nach Wimbledon begleitet hatte. Und zum engsten Kreis um den Tennis-Shootingstar gehört auch ein Vierbeiner: die Katze Minu.
Sein Team
Das Motto in Strickers Entourage ist «all-in». Vater Stephan sagte früher im Jahr, jetzt sei der Zeitpunkt, alles für den Durchbruch des Talents, das zuvor seit dem 15. Lebensjahr bei Swiss Tennis ausgebildet wurde, zu investieren. Die Eltern übernehmen Management-Aufgaben, Schwester Michèle macht (mit zusätzlicher Unterstützung) Social Media. Mit Dieter «Didi» Kindlmann wurde ein Hauptcoach mit internationaler Erfahrung (früher im Team von Maria Scharapowa oder Angelique Kerber) geholt.
Dazu leisten sich die Strickers nun auch physiotherapeutische Hilfe auf der Tour, um Verletzungen vorzubeugen. Und Aufgaben wie Rechtliches, Reisen oder Sponsoring sind gar noch auf weitere Schultern verteilt. Es ist bereits ein Riesenteam für einen, der erst nach den US Open erstmals in die Top 100 vorprescht – und im Mai an den French Open seine Grand-Slam-Premiere feierte.
Übrigens: Vater Stephan war einst Spitzen-Tischtennisspieler in der NLA und arbeitet jetzt neben seiner Manager-Rolle noch immer im 60-Prozent-Pensum als Polizist im Streifendienst.
Seine Leidenschaften
Nach Wimbledon gönnte sich Stricker ein paar freie Tage, um mit Kollegen zu golfen. Im Eishockey unterstützt er den SC Bern und den EHC Biel, dazu ist er ein grosser YB-Fan. Innerhalb des Teams ist der Fussball immer wieder Grund für hitzige Diskussionen – denn auch Coach Kindlmann verfolgt den Sport intensiv. Und zwar als Bayern-Fan. An Turniertagen schlägt Stricker die Zeit gerne auch mit dem Würfelspiel Yatzy tot.
Sein Glücksbringer
Öffentlich bekannt ist bislang nur einer – dieser ist aber gut ersichtlich: Er hängt um seinen Hals. Stricker trägt eine feine Kette mit kleinem Tennisschläger daran. Mut machen soll dem 1,83 m grossen Linkshänder jeweils auch das Ritual, dass das Team vor jedem Match kurz zusammensteht und sich in die Arme nimmt.
Sein Vorbild
Roger Federer (42), natürlich. Besonders beeindruckt ist Stricker von der Vorhand des Landsmanns und 20-fachen Grand-Slam-Siegers. Die beiden haben auch schon gemeinsame Trainings absolviert, wovon überliefert ist, dass Federer ihm geraten haben soll, an seinem Service zu arbeiten. Überdies hat sich der Junioren-French-Open-Sieger von 2020 auch Tipps von Ex-Federer-Coach Peter Lundgren (58) geholt, der seit März als eine Art Mentor im Hintergrund agiert. Und nun am Sonntag auch im US-Open-Achtelfinal gegen Taylor Fritz (25) die Daumen drücken wird.