Eine Schweizer Sternstunde in New York. Dominic Stricker (21) hat sich an den US Open mit seinem Zweitrunden-Exploit gegen Weltnummer sieben Stefanos Tsitsipas (25) plötzlich einen Namen in der Tennis-Welt gemacht. Es ist sein erster Sieg gegen einen Top-10-Spieler. Der erste, der international für wirklich viel Aufsehen sorgt.
Seine Geschichte berührt alle im «Big Apple» und darüber hinaus: Ein junger, frecher Qualifikant, der in der Weltrangliste an Position 128 klassiert ist und in einem Fünfsatz-Krimi den hochfavorisierten Superstar rauswirft. Was will der Tennis-Fan mehr? Stricker, der 2020 bei den Junioren die French Open gewann, ist so richtig angekommen in der Elite.
Er erntet in diesem Sommer die Früchte eines Jahres, das bislang von vielen Veränderungen geprägt war. Die grösste? Sie hat mit der Verpflichtung seines neuen Trainers Dieter «Didi» Kindlmann zu tun. Der 41-jährige Deutsche, der selbst einst die Nummer 130 der Welt war, bringt einerseits die Erfahrung vom Weltklasse-Tennis mit. Er war Sparringpartner von Maria Scharapowa (36) und coachte Frauen-Grössen wie Angelique Kerber(35), Aryna Sabalenka (25) oder Ajla Tomljanovic (30). Andererseits achtet Kindlmann auch penibel auf die Fitness, wobei er im Fall von Stricker zu Beginn der Zusammenarbeit im März unmissverständlich kommuniziert hat, dass er in diesem Punkt noch viel Potenzial ortet. Das Ziel: Aus einem Nachwuchsathleten soll ein gestandener, fitter Profi werden. Auf und neben dem Platz.
Auch sein Team verzichtet mehr auf Süsses
Kindlmann hat kürzlich gegenüber der «ATP» erklärt: «Dominic ist ein grossartiger, lustiger Typ mit tollem Charakter. Er kann auch mal albern sein und hat eine verspielte Seite. Doch er muss auch lernen, was es heisst, jeden Tag ein professioneller Spieler zu sein.» Kindlmann betont, er wolle weder Strickers Art noch seinen Spielstil verändern: «Die Dinge sollen nicht allzu seriös werden, doch ich möchte eine Struktur reinbringen. Er soll in seinen Körper vertrauen und daran glauben, diese anderen guten Jungs schlagen zu können.»
Dass die Ernährung dabei eine grosse Rolle spielt, hat auch Stricker nach seinem Sieg über Tsitsipas noch einmal erläutert. Anpassungen in diesem Bereich würden ihm helfen, «Spiele wie diese besser durchzustehen». Heisst konkret: «Ich esse weniger Schokolade, weniger Zucker, all diese Sachen. Das hat viel verändert», so Stricker, der anführt, von seinem Team auch in dieser Hinsicht unterstützt zu werden: «Indem auch sie mehr darauf verzichten.»
Die Umstellungen scheinen sich auszuzahlen: Schon in Wimbledon im Juli gewinnt er seinen allerersten Fünfsätzer auf Grand-Slam-Stufe, zieht dank eines Sieges über Alexei Popyrin (24) in die zweite Runde ein. Und nun hat er an den US Open die Kraft und Energie gehabt, Tsitsipas ebenfalls im fünften Durchgang in die Knie zu zwingen.
Kein Nutella mehr zum «Zmorge»
«Der Ernährungsschritt hat der guten Entwicklung mit Sicherheit geholfen. Domi hat seinen Alltag deutlich angepasst», sagt Vater und Manager Stephan Stricker. Der halbe Koffer für die Reise in die USA habe aus Zwicky-Müesli für die Frühstück-Mahlzeiten bestanden. Und Mutter Sabine nennt weitere konkrete Beispiele: Nutella zum «Zmorge» sei ebenso kein Thema mehr, wie auch Fastfood ganz allgemein oder in den meisten Fällen auch Süssgetränke.
Ganz asketisch würde er nicht leben, lässt Stricker an der Pressekonferenz durchblicken. Der Fortschritt nach der Umstellung sei aber deutlich spürbar, so der US-Open-Debütant: «Es ist schön, zu sehen, dass mein Körper nun in der Lage ist, vier Stunden auf diesem hohen Level zu bestehen.»
Bezahlt gemacht hat sich dies im Übrigen auch finanziell: Umgerechnet 168’000 Franken Preisgeld sind Stricker bereits sicher. Geld, das er und sein Team gut gebrauchen können. Denn um ganz oben bestehen zu können, wollen die Strickers weiterhin in gute Rahmenbedingungen – von Coach bis Physio – investieren. Stephan Stricker sagt: «Die Prämie tut gut. Aber das Motto bleibt: All-in!»