Das Wichtigste zuerst: Wie geht es Ihnen?
Roger Federer: Es geht mir wieder besser. In den letzten zwei, drei Wochen hatte ich einen Knoten im Magen. Ich habe den Brief und alles immer aufgeschoben. Tony (Godsick Anm.d.Red.) ist wegen mir fast verrückt geworden. Den Brief zu schreiben, hat viel emotionale Energie gebraucht – besonders der Tag vor und der Morgen der Ankündigung, als ich angefangen habe, gewisse Leute zu informieren. Aber jetzt fühle ich mich gut.
Wann kam die Entscheidung aufzuhören?
Die Entscheidung kam einige Tage, nachdem ich in Wimbledon war. Ich hatte auf dem Court gesagt, dass ich hoffe, nächstes Jahr alle wieder zu sehen. Zu dem Zeitpunkt glaubte ich es noch aufrichtig. Nach einigen Tagen und Wochen merkte ich, dass das Knie keine Fortschritte mehr macht. Es war fast auf dem maximalen Niveau. Nach einigen Untersuchungen dachte ich, dass ich wieder an einem Scheideweg angelangt bin – dem gefühlt tausendsten meines Lebens. Ich fragte mich: «Was bringt es mir noch?». Wir wussten, dass ich mich auf dünnem Eis bewege.
Wie haben Sie sich im Entscheidungsmoment gefühlt?
Er war sehr emotional, als ich mir sagte: «Es ist vorbei, ich habs verstanden.» Ich wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung war. Danach vergingen Wochen, ohne dass ich allzu viel darüber nachgedacht habe. Vor etwa drei Wochen habe ich angefangen, mich richtig damit zu befassen. Ich konnte am Ende nicht mehr davon flüchten, dass war etwas stressig.
Sie haben mit Stefanos Tsitsipas trainiert. Wie gehts physisch? Glauben Sie, dass Sie spielen können?
Ich habe am Montag und Dienstag wieder mit ihm gespielt. Ich bin zufrieden und überrascht, wie gut ich den Ball schlage. Ich werde nicht die Einzelpartie spielen können, das war mir schon im Voraus klar. Darum war es auch keine Option, in Basel zu spielen. Mit dem System vom Laver Cup denke ich, dass ich am Freitagabend das Doppel bestreiten werde. Der Druck ist für mich gross, weil ich es probieren will. Ich habe sehr lange nicht mehr gespielt. Ich werde versuchen, wettbewerbsfähig zu sein. Aber immerhin kann ich auf einem Niveau spielen, das ich völlig akzeptabel finde.
War es Ihnen wichtig, noch ein letztes Mal zu spielen? Dazu noch an einem Ort wie London, der Ihnen viel bedeutet.
Ja, London trage ich im Herzen. Jemanden wie Björn Borg auf der Bank zu haben, und von vielen Spielern umgeben sein, mag ich sehr. Oft enden die Karrieren an einem grossen Turnier, wo du an einem gewissen Punkt verlierst und es dann fertig ist. Ich finde das etwas traurig. Hier in einem Team zu sein, ist anders. Zusätzlich, weil ich wusste, dass ich kein Einzelturnier bestreiten kann. Wenn ich hier aber nicht spiele, geht es mir trotzdem gut. Zudem musste es ein Ort sein, wo ich die Fans sehen kann und sie mich.
Das Risiko besteht aber, dass Ihr Abschied grösser als der Laver Cup sein wird.
Ja, darum habe ich es eine Woche davor angekündigt und nicht während der Turnierwoche. Denn ab einem gewissen Punkt gehts um den Laver Cup. Das muss dann das Thema sein. Ich habe versucht, alles zu beachten. Den Tod der Queen und ob ich es während dieser Phase ankünden darf, oder ich bis nach der Beerdigung warten muss. Das hat mich zusätzlich gestresst, weil ich das Richtige machen wollte. An einem Punkt wollte ich es noch früher bekannt geben, um mich von dem Druck zu befreien. Aber es war gut, zu warten. Ich wollte den Leuten auch noch Zeit geben.
Das heisst, Sie haben seit Juli den Entscheid mit sich getragen?
Es war sehr schwierig. In den Ferien konnte ich es aber irgendwie gut verdrängen. Es war lustig, denn mit Mirka hatte ich praktisch nicht darüber geredet. Ich glaube, wir hatten beide nicht gross Lust dazu. Denn entweder organisieren wir gleich alles, oder man lässt es einfach. Als ich nach den Ferien alles angeschaut hatte, kam natürlich alles auf einmal. Es war vor allem für den nahen Kern nicht einfach, der wusste wie es mir geht.
Haben Sie etwas Zeit verstreichen lassen, um Gewissheit zu haben?
Ich war erstens weg. Und musste es auch einfach mal sacken lassen. In der ersten Ferienwoche war ich so müde. Ich merkte, dass ich so viel fürs Comeback und die Reha gegeben hatte. Ich dachte: «Ich kann gar nicht um sechs Uhr aufstehen. Das geht nicht.» Ich war so durch, müde vom Training, versuchte alles mit dem Knie positiv zu sehen. Als ich zurückkam war es dann wieder kein Problem. Mit dem Entscheid merkte ich, was für eine Last abfiel. In dem Moment ging es dann nicht so schnell wie möglich, es rauszulassen. Ich wusste, dass es nicht rauskommt und wollte schauen, wie es nach den Ferien aussieht. Das Knie hatte eine Pause verdient. Danach ging ich mit einer entspannten Art an das Ganze. Schlussendlich war es das Richtige. Die Fragen «Wie gehts dem Knie? Gehts heute besser?» kann man mit der Zeit nicht mehr hören.
Wie gehts dem Knie denn?
Ich hoffe gut genug für das Doppel (lacht). Ich bin immer weiter mit der Intensität runtergefahren. Gleichzeitig wollte ich mich in einer guten Form halten – ohne dass ich anfange, zu würgen. Das wollte ich nicht mehr. Darum bin ich überrascht und total happy, wie ich die letzten Tag gespielt habe.
Können Sie genauer sagen, wie es ums Knie steht? Es kam nie eine genaue Diagnose raus und über die Schwere haben Sie nichts Genaues gesagt.
Das werde ich wahrscheinlich auch nie. Ich finde, es ist Privatsache. Und ganz ehrlich – ich weiss es auch nicht genau und will es manchmal nicht genau wissen. Alles, was ich wissen muss, ist: Was muss ich für die Reha machen? Wie lange gehts? Was sind die Optionen?
Wie ging es Ihnen letztes Jahr auf der Tour?
Es war sehr hart. Das ganze Comeback war extrem schwierig. Ich konnte mich nicht mehr normal präsentieren, war so weit weg von 100 Prozent. Darum war der Viertelfinal in Wimbledon eigentlich unglaublich. Was lustig war: Nach dem Hurkacz-Match musste ich in die Pressekonferenz. Zuerst musste ich mich nochmals vorbereiten und abkühlen. Denn was passiert ist, war eine der schlimmsten Stunden meiner Karriere: Beim letzten Satz merkte ich auf dem Platz, dass nichts mehr geht. Danach kam die Enttäuschung, dass es mit dem Knie nicht mehr so weitergehen kann. Natürlich stellte sich die Frage, was ich der Presse sagen würde.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe mich vorbereitet, kam in die PK und niemand hat mich gefragt, wie es dem Knie geht. Ich war froh, dass ich nicht reden musste, aber dachte: «Mann, bin ich so ein guter Schauspieler, dass niemand gemerkt hat, dass mein Knie durch war?» Das ganze Comeback durchzumachen, war schwierig – obwohl ich es trotzdem geniessen konnte, wieder auf dem Platz zu stehen. Danach ging es darum, die OP und Reha fürs spätere Leben zu machen. Das habe ich dann auch so gesagt.
Im Alltag bereitet Ihnen das Knie aber keine Probleme?
Nein, im Alltag ist es okay. Ich hatte natürlich die Momente, als ich stark trainiert habe und das Knie etwas mehr geschmerzt hat. Momentan habe ich aber alles runtergefahren.
Wirds mit Fussball spielen und Ski fahren klappen?
Das Ziel und meine grosse Hoffnung ist natürlich, all dies wieder machen zu können. Aber ich muss dranbleiben. Wenn man sieht, was Lindsey Vonn alles investieren muss, um sich im Alltag gut zu fühlen …
Sie haben immer gesagt, dass sie nach Ihrer Karriere kein kitschiges Ende möchten. Hatten Sie aber eine Vorstellung, wie das Ende aussehen könnte?
Es war nie an ein Turnier geknüpft. Für mich ging es mehr darum, nochmals vor den Leuten spielen zu dürfen und das zu machen, was ich am liebsten mache. Als kleine Anmerkung: Ich habe in der Reha-Phase irgendwann gemerkt, dass es mit Grand Slams nichts mehr wird. Dann war die Frage, was das heisst. Dann waren wir irgendwann bei den 250er und 500er Turnieren. Dafür wollte ich noch gern weitertrainieren. Das heisst, dass ich Exhibitions à Gogo spielen dürfte und sonst noch machen, was ich will. Bis ich gemerkt habe, dass ich das auch nicht mehr kann.
Sie haben geschrieben, dass sie weiter Tennis spielen möchten. Wenn sie irgendwo eine Schaupartie «Match for Africa» spielen, könnten wieder bis zu 50'000 Leute kommen.
Damit wollte ich den Fans nicht den Eindruck vermitteln, dass ich einfach weg bin. Ich finde es immer schade, wenn ehemalige Super-Spieler aufhören und man sie dann nicht mehr sieht. Ich habe es auch Björn Borg gesagt. Er war 25 Jahre nicht mehr in Wimbledon. Es ist kein Problem – jedem das Seine. Ich finde es aber so schade für die Fans. Das bin ich nicht. Ich habe den Sport zu gern und möchte weiter nah sein – egal in welcher Form. Exhibitionmatches mache ich sehr gern und ich habe noch die Möglichkeit, Stadien zu füllen.
Schwebt Ihnen eine Idee vor?
Mein grosser Wunsch wäre, in den nächsten sechs bis neun Monaten irgendwo eine Schaupartie zu spielen. Da würde ich alle meine ehemaligen Coaches einladen, ein grosses Fest machen sowie allen Tschüss und Dankeschön sagen.
Sie haben immer gesagt, dass Mirka nach Ihrer Karriere im Mittelpunkt stehen wird. Ist dies jetzt für sie eine Erleichterung?
Es ist auch für sie ein Prozess. Für mich waren die letzten Jahre hart, aber ich glaube, für sie war es noch härter. Sie hat es mit den ganzen Verletzungen nicht mehr genossen, mir zuzuschauen. Sie tat mir irgendwo auch Leid. Für sie ist es jetzt eine grosse Erleichterung, dass es durch ist.
Wie haben die Kinder reagiert?
Ich habe es ihnen einen Tag vorher gesagt. Es kommt darauf an, wie man es rüberbringt. Wenn man gewissen Freunden sagt: «Hey, ich höre auf», ist die Antwort: «Geiler Entscheid». Wenn man aber sagt: «Hey, ich glaube, ich muss aufhören», fangen gleich alle an zu weinen. Ich habe ihnen gesagt, dass sich nichts gross ändern wird. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie es sein wird. Irgendwo sind sie traurig, dass ich aufhören werde. Aber sie haben immer den Wunsch geäussert: «Hör mal auf mit Tennis, wir wollen Ski fahren.» Ich habe es allen vier gleichzeitig gesagt und drei von vier haben geweint.
War es für Sie auch ein Trauerprozess?
Am Anfang war ich schnell traurig, dann habe ich es verdrängt und den ganzen Prozess begonnen mit dem Brief und damit, dass ich es den Leuten gesagt habe. Das hat mir extrem gutgetan. Auch wenn es einen zerreisst, muss ich sagen, dass ich aus dem Grund problemlos Interviews geben kann. Wenn man mir vor drei oder sechs Wochen gesagt hätte, dass ich mit dem Mikrofon rausmüsste und es den Leuten sagen – unmöglich. Ich hätte kein Wort rausgebracht.
War das der Grund, warum Sie Instagram für die Ankündigung verwendet haben?
Ich wollte es kontrollieren und der Erste sein, der es den Fans mitteilt. Da muss es halt leider durch Social Media sein. Man kann davon halten, was man will. Aber es erlaubt mir, allen gleichzeitig zu sagen. Ich wollte auch nicht in fünf oder zehn Jahren ein Video von mir sehen und denken: «Was war das denn?». Zuerst wollte ich einen handgeschriebenen Brief veröffentlichen. Doch er wurde zu lang und vielleicht kann nicht jeder meine Handschrift lesen. Darum kam ich auf die Audiobotschaft neben dem Brief. So kamen die Emotionen rüber und es ist nicht einfach ein Text.
Wie lange ging der Schreibprozess?
Ich bin jedes Wort durchgegangen, hatte 25 Versionen am Schluss. Insgesamt dauerte es zwei Wochen, den Brief zu verfassen. Man fängt einfach mal an und es vergehen dann zwei Tage. Manchmal war ich einfach beschäftigt. Bei mir ist natürlich immer jemand zu Hause. Je mehr man daran herumdoktert, desto schlechter tönte es manchmal. Ich muss aber sagen, wir hatten einen guten Rhythmus.
Wie haben Sie den Abend nach der Veröffentlichung erlebt?
Nachdem es rausging, war es okay. Man hofft einfach, dass der Post so gekommen ist, wie man es wollte. Sobald man das sieht, ist man erleichtert. Es war auch ein kleines Doku-Team dabei – und diese Woche auch. Ob ich die Aufnahmen aber jemals brauchen werde, werden wir sehen. Mir war einfach wichtig, es zu haben. Es war emotional, aber die Stimmung wurde danach entspannt und schön.
Welche waren die eindrücklichsten und überraschendsten Reaktionen?
Ich muss sagen, dass ich bisher sehr wenig gelesen habe. Ich war bloss auf Social Media, aber in den letzten Tagen habe ich nichts mehr gesehen. Auch davon, was im TV lief oder die Zeitungen gebracht haben, habe ich praktisch nichts gesehen. Ich will alles nach dem Laver Cup anschauen. Diese Zeit will ich mir nehmen. Was mir Freude bereitet hat, ist, dass viele über mich als Person berichtet haben und nicht nur über meine Rekorde.
Haben Sie sich bereits Gedanken gemacht, was Sie sonst in Zukunft machen möchten?
Nein, noch nichts Konkretes. Ich habe in den letzten Jahren schon viel gemacht, durfte schon spüren, wie beschäftigt ich bin. Klar, der halbe Tag ging für die Reha drauf. Gleichzeitig will ich immer noch in Form bleiben. Das muss ich auch für die Exhibitions. Daneben gibts die Stiftung, wo wir jetzt anders planen können. Das ist toll. Geschäftstechnisch finde ich es toll, mit On einen Partner in Zürich zu haben, wo ich einfach schnell hinfahren und ein paar Sachen erledigen kann. Ich bin Botschafter von vielen Firmen, die jetzt auch langjährige Freunde geworden sind. Das wird weiterlaufen.
Und im Tennis?
Dort habe ich mir nicht bis ins Detail überlegt, was ich machen kann. Ich habe nie gedacht, dass ich es jemals sagen würde, aber auf einmal kam mir vor sechs Monaten das Thema Kommentieren in den Sinn. Wer weiss. Meine ganze Karriere sagte ich noch, dass ich es niemals machen würde. Vielleicht aber spezifisch zum Beispiel in Wimbledon einige Spiele zu kommentieren. Ab und zu wieder rein- und rausspringen, könnte etwas sein, was das Tennis brauchen könnte. Das erlaubt, den Kontakt mit der Tour und den Spielern zu halten. Aber ich habe es mir noch nicht gross überlegt.
Könnten Sie sich auch vorstellen, in anderen Sportarten Fuss zu fassen?
Als Spieler sicher nicht, diese Zeit ist vorbei (lacht). Ich bin schon viel für andere Sachen angefragt worden. Es kommt immer aufs Projekt an. Egal obs Sport ist oder eine andere Firma – es gibt so viele Sachen. Darum habe ich immer probiert, mit Mirka zu schauen, am Ende der Karriere so wenig wie möglich zu haben. Ich will Papa sein, zu Hause Zeit verbringen, habe viele Freunde, mit denen ich mehr Zeit verbringen möchte. Da will ich auch eine gewisse Flexibilität haben. Ich muss passioniert sein und Lust darauf haben.
Wie beim FC Basel zum Beispiel?
Ich habe das Gerücht gehört, das ist aber völlig irgendwo hergegriffen. Ich fühle mich dem Klub natürlich sehr verbunden. Ich habe damals noch mit Bernhard Heusler einmal darüber geredet. Doch ich weiss gar nicht mehr, in welche Richtung es gegangen ist. Ich habe ihm aber gesagt, dass ich noch selber spiele. Ich könne mir sowieso nichts vorstellen und er will mich auch gar nicht im Klub haben. Ich bin Tennisspieler und kein Aktionär oder Funktionär. Aktuell ist es immer noch so. Ich brauche sowieso Zeit und habe noch keine Ahnung. Es fand auch kein Gespräch statt. Momentan gehts darum, mit den Kindern den FCB zu besuchen und schauen, dass sie wieder Meister werden.
Bei den Swiss Indoors wollten Sie eigentlich antreten. Werden Sie dennoch vor Ort sein?
Ich muss schauen. Nur schon das Reden war schwierig und plötzlich hiess es, dass ich mich bei den Grand Slams noch verabschieden müsse. Sie würden mich auch noch sehen wollen. Jetzt muss ich noch entscheiden, wo ich noch überall hingehen werde. Die Swiss Indoors haben gesagt, dass sie mich gern am Dienstag sehen würden, aber ich habs noch nicht besprochen.
Wie sehen die nächsten Tage aus und wer wird alles hier sein?
Die Kinder kommen noch am Wochenende. Aber das Turnier ist ja ausverkauft – und nicht nur weil ich gesagt habe, dass es vorbei ist. So konnte ich auch nicht alle einladen. Es muss, aber auch nicht jeder hier sein. Ich will ja noch ein Exhibitionspiel machen und dort kann man einen ganzen Sektor zur Partyzone erklären. Meine Eltern kommen natürlich und sonst noch ein paar Freunde, die es sich einrichten konnten. In den nächsten Tagen springe ich voll in den Laver Cup. Jetzt kommen alle an und trainieren. Dann folgt die Vorbereitung für den Freitag.