Federer-Vertrauter Paganini
«Der Mensch Roger ist immer noch derselbe wie mit 14»

Er begleitet ihn seit 22 Jahren: Kondi-Trainer Pierre Paganini (64) ist für Roger Federer (41) viel mehr als ein Coach. Im Blick-Interview spricht er über Körper, Herz und Seele der Tennis-Ikone.
Publiziert: 18.09.2022 um 13:31 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2022 um 07:56 Uhr
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Sie schufteten jahrzehntelang zusammen: Federer und Paganini (l.) 2003 beim Training in Allschwil.
Interview: Emanuel Gisi

Pierre Paganini, wann ahnten Sie, dass Roger Federer nicht mehr auf die ATP-Tour zurückkehren wird?
Pierre Paganini: Als jemand, der im engeren Kreis dabei ist, weiss man, wie Roger denkt. Das passiert nicht spontan am Donnerstag um Viertel nach drei.

Sondern?
Seit Juli, als er angefangen hat, die verschiedenen Trainingselemente zu kombinieren, hat er gemerkt, dass er immer mehr Umwege machen und Zusatzaufwand betreiben muss. Er musste grössere Efforts leisten für relativ geringe Intensität.

Tut er das Richtige?
Es steht mir gar nicht zu, das zu beurteilen. Ich war 22 Jahre einer seiner Trainer, ein unglaubliches Privileg. Ich darf mich glücklich schätzen, mit diesem aussergewöhnlichen Athleten und Menschen zusammengearbeitet zu haben. Aber wenn Sie mich nach meiner Einschätzung fragen: Ich denke, es ist ein cleverer Entscheid. Es geht ja nicht nur um das Knie. Roger hat in seiner Karriere extrem viele Matches gespielt und seinen Körper extrem beansprucht. Er musste in den letzten Jahren schon einen unglaublichen Aufwand betreiben, um auf Weltklasse-Level dabei zu sein. Stellen Sie sich vor, wie viele Trainings ein Spitzensportler bis 41 bestritten hat! Für mich ist es ein Wunder, wie er das in den letzten fünf Jahren gemacht hat.

Federer hat schon vor Monaten davon gesprochen, dass es nicht nur um sein Comeback auf der Tennis-Tour geht, sondern auch darum, die nächsten Jahrzehnte gesund und sportlich leben zu können.
Darum finde ich diesen Entscheid ja so klug. Du kannst von der ATP-Tour zurücktreten, aber vielleicht willst du deine Tennis-Leidenschaft trotzdem weiter ausleben. Rogers Rücktritt ist für mich auch eine Erleichterung. Wir wollen ja nicht, dass er sich wieder verletzt und in seiner Zukunft dann körperliche Probleme hat. Im Spitzensport muss man im Training an die Limiten gehen – aber auch entscheiden können, wann es zu viel wird.

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Wie war der Austausch in den letzten Monaten? Hat er Sie auch um Rat gefragt oder die anderen Coaches?
Nicht in dieser Form. Man kann sich das nicht so vorstellen, dass es da ein grosses Meeting gibt, bei dem über solche Themen diskutiert wird. Nein, da geht es um einen Menschen und um die sehr persönliche Entscheidung, nicht mehr Profi-Tennis zu spielen. Wir Trainer sind Begleiter, haben mit ihm zusammengelebt, Alltagsgespräche geführt, Feedbacks gegeben. Aber klar, irgendwann hat man gespürt, in welche Richtung es gehen wird.

Wie war es für Sie, als die Entscheidung definitiv war?
Das war ein emotionaler Moment. Man bespricht es zwar nüchtern. Aber gleichzeitig spürt man mit jeder Faser, dass es ein unglaublich emotionales Thema ist. Es ist ein Entscheid, den ein Spieler nicht zehn Mal im Leben trifft, sondern genau ein Mal. Da kommen die Emotionen, und man spürt, dass hinter dem Tennisspieler ein Mensch steckt. Roger hat tiefe Emotionen, und die kann er zeigen. Das ist schön.

Diese Emotionen hat er auch auf dem Platz immer wieder gezeigt.
Das ist eine seiner Stärken. Er ist als Spieler, wie er als Mensch ist. Es ist bei Federer nicht der Spieler, der spielt. Sondern der Mensch. Das hat man in jedem Training mit ihm gespürt.

Pierre Paganini (64)

Der in Zürich geborene Westschweizer Pierre Paganini (64) stand 20 Jahre im Dienste von Swiss Tennis, davon 11 Jahre im Davis-Cup-Team, bevor ihn Roger Federer als privaten Konditionstrainer verpflichtete. Er begleitete Federer 22 Jahre lang.

Der in Zürich geborene Westschweizer Pierre Paganini (64) stand 20 Jahre im Dienste von Swiss Tennis, davon 11 Jahre im Davis-Cup-Team, bevor ihn Roger Federer als privaten Konditionstrainer verpflichtete. Er begleitete Federer 22 Jahre lang.

Federer hat in seiner Karriere die Grenzen immer wieder verschoben.
Er trat so auf, als ob es keine Grenzen gäbe. Aber für sich hat er seine Grenzen immer im Auge gehabt. Ich glaube, er wusste, dass er dieser Grenze immer näher kam.

Aber es sah so einfach aus.
Er konnte es so easy wegstecken. Das Tennis und alles, was er gemacht hat auf dem Platz, sah aus, als ob es einfach und leicht und easy wäre. Das ist vor allem verrückt, wenn man weiss, wie gross der Aufwand im Training war. Ich bin manchmal ins Training gekommen und stand mit offenem Mund da, wie er sich da reingeworfen hat.

Wie hat sich Federer in den letzten Jahren verändert?
Ich habe das Privileg, dass ich ihn kenne, seit er 14 Jahre alt war. Natürlich ist er reifer geworden seither. Aber der Mensch ist immer noch derselbe. Er hat immer noch dasselbe grosse Herz wie damals.

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Was bleibt von Ihrer Zusammenarbeit?
Freundschaft. Wenn dir ein Mensch wie Roger sein Vertrauen schenkt, ist das das grösste Privileg, das du haben kannst. Das hat sich in den 22 Jahren, die wir zusammengearbeitet haben, nach und nach entwickelt. Ich freue mich auf unsere Freundschaft nach seiner Karriere.

Was ist Federers grösste Qualität neben dem Platz?
Seine Spontaneität. So einen wie ihn triffst du nur einmal. Du kannst ihm jeden Menschen auf diesem Planeten vor die Nase setzen, Federer wird sich aufrichtig für ihn interessieren und dafür sorgen, dass er sich wohlfühlt. Er ist ehrlich, aufrichtig und neugierig. Roger ist immer zu 100 Prozent pur.

Was wünschen Sie ihm jetzt?
Ich glaube, dass seine zweite Hälfte mindestens so schön wird wie seine erste. Er ist ein Mensch, der noch viel zu sagen hat. Ich freue mich auf seine Zukunft. Er wird beweisen können, was in ihm steckt.

Was steckt denn in ihm?
Er ist clever. Er kann zuhören. Er hat eine unglaubliche Qualität, selbstkritisch zu sein. Das ist eine enorme Stärke: Wenn du als Mensch von dir überzeugt, aber sehr objektiv in der Selbstkritik bist. Und das auf diesem Level, das er immer hatte. Aber etwas möchte ich noch sagen …

… bitte!
Ich denke in diesen emotionalen Momenten an seine Familie. An seine Eltern Robert und Lynette und an seine Frau Mirka. Ohne sie wäre Roger nicht da, wo er jetzt ist. Wenn ich sehe, wie natürlich er ist, denke ich manchmal: Mit den Eltern, die er hat, ist es irgendwie logisch.

Erlauben Sie uns noch eine letzte sportliche Frage: Glauben Sie, er wird am Laver Cup spielen können?
Das wird er vermutlich im letzten Moment entscheiden. Er hat so trainiert, dass er die maximal möglichen Infos hat, ob es eine gute Idee ist oder nicht. Ich bin gespannt.

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