Roger, du kannst das noch!
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Comeback nach einem Jahr Pause:Roger, du kannst das noch!

Selbst McEnroe sagt heute
«Federer kann man nie abschreiben»

Von den Krücken zurück zur Krone? Viele Weggefährten, Experten und Legenden glauben an Roger Federers Traum-Comeback – auch mit fast 40.
Publiziert: 09.03.2021 um 01:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2021 um 09:57 Uhr
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Roger Federer 2005 in Doha, wo er kommende Woche sein Comeback seit über einem Jahr Pause gibt.
Foto: imago sport
Cécile Klotzbach

Das lange Warten hat ein Ende. Roger Federer, 39 Jahre und sieben Monate alt, spielt nach über 400 Tagen Pause erstmals wieder einen Ernstkampf. Die Scheichs in Doha, Katar, kommen in den Genuss seines ersehnten Comebacks – nach einem Freilos trifft der hinter Dominic Thiem an 2 gesetzte Schweizer auf Jeremy Chardy (Fr, ATP 64) oder Daniel Evans (Gb, ATP 28). Für Millionen Fans am TV hat das Darben damit endlich ein Ende.

Geduld, das war 2020 das Zauberwort im Welttennis schlechthin. Wegen der Corona-Pandemie, die den Wanderzirkus lahmlegte und noch teilweise lahmlegt. Und wegen Federer, dessen Knieverletzung zwar in keinem Jahr hätte günstiger terminiert sein können, dessen zeitlich unabsehbare Abwesenheit der Tour aber dennoch den allerletzten Zauber genommen hat.

Allen voran musste sich aber der Schweizer selbst in Geduld üben, weil er wesentlich länger als gedacht pausieren musste. Nachdem er bei den Australian Open 2020 im Halbfinal an Novak Djokovic gescheitert war und anschliessend am 7. Februar beim «Match in Africa» gegen Rafael Nadal seinen letzten Auftritt vor einer Riesenkulisse in Kapstadt gefeiert hatte, entschied er sich für eine Operation am rechten Knie, das ihm seit geraumer Zeit Probleme bereitet hatte.

Ein Albtraum für Federer-Fans

Dann begann der weltweite Tennis-Lockdown. Kein Problem – wenns wieder losgeht, ist Federer wieder fit, dachte man. Es kam anders: Im Juni schockierte Roger über die sozialen Medien die Szene: Er habe einen weiteren Rückschlag während der ersten Rehabilitation erlebt, ein weiterer arthroskopischer Eingriff am rechten Knie sei erfolgt. Ein Albtraum für alle Federer-Fans! Ist das das Ende? Hat der betagte Baselbieter, der alles erreicht hat und in seiner Grossfamilie viel Befriedigung findet, nach einem so langen Karriere-Unterbruch nochmals den Mumm, sich zurück zu arbeiten?

Sein früherer Mentor, der Genfer Federer-Kenner Marc Rosset, beruhigt in dieser Hinsicht. Selbst wenn Roger noch bis im Sommer mit seinem Comeback warten würde, wäre das nicht das Ende der Welt. «Ein Jahr zu Hause mit der Familie zu verbringen, kann ihm in vielerlei Hinsicht sogar verjüngen. Ich sehe nicht, warum wir ihn begraben sollten.»

Auch Federer selbst liess nie Zweifel daran, dass er bereit ist, für seine grosse Liebe unten durch zu gehen. «Ich spiele für mein Leben gerne Tennis und möchte gerne noch mal grosse Siege feiern.» Konkret will er dies in Halle, Wimbledon, bei Olympia in Tokio und den US Open tun. Ursprünglich waren auch die Australian Open ein Ziel, doch diese kamen ihm noch zu früh. An den Sports Awards Anfang Dezember sprach er ernüchternde Worte aus: «Ich habe gehofft, im Oktober bei 100 Prozent zu sein. Das war ich leider nicht – und ich bin es noch nicht.»

Ob er für den Wiedereinstieg in Australien gar nicht recht bereit sein wollte, weil die dortigen Quarantäne- und andere Sicherheitsvorschriften mit seiner persönlichen Familien-Organisation nicht wirklich kompatibel waren, sei dahingestellt. Gemäss seinem Trainer-Staff mache Roger jedenfalls nur kleine Schritte in den Trainingsblöcken, um auf keinen Fall zu früh zu forcieren und einen neuerlichen Rückschlag zu erleiden.

Hier macht sich Federer fürs Comeback heiss
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Im Training in Doha:Hier macht sich Federer fürs Comeback heiss

Nur «fast» bei 100 Prozent

Er habe einen «langen, steinigen Weg von ganz unten hinter sich», bestätigt sein Fitness-Guru Pierre Paganini (63) vor kurzem im «Tages-Anzeiger». Sie seien «im Schneckentempo» vorwärts und es habe unheimlich viel gebraucht, wieder dahin zu kommen, wo er jetzt stehe. Coach Severin Lüthi hielt seinem Meister in der langen Zeit den Rücken frei – auch von allen Anfragen der ungeduldigen Medien – und betonte gegenüber SonntagsBlick: «Es ist jetzt unheimlich wichtig, dass er in aller Ruhe arbeiten kann.»

Vor seinem ersten Auftritt in Doha sagt Federer: «Ich bin wieder fast bei 100 Prozent.» Fast – die Lage ist also doch noch nicht völlig normal. Das Turnier in Katar wird eine Standortbestimmung, die aufweisen soll, wie es weitergeht. Vielleicht mit dem Anschlussturnier in Dubai, wo er gemeldet ist. Vielleicht aber auch nur mit einem weiteren Aufbaublock und erneuter Pause, weshalb auch der US-Trip nach Miami gestrichen ist.

«Sein Schlag-Repertoire wird er nicht verloren haben», ist sich der frühere US-Star Jim Courier sicher, «alles kommt darauf an, wie er sich bewegt», räumt er aber ein. Der Amerikaner wünschte sich einen Federer in alter Frische, denn er vermisst die Interviews mit seinem Lieblingssieger auf dem Court. «Er ist der leichteste, gewandteste Redepartner auf dem Platz und zeigt dabei allen, wie man den Kontakt mit Fans aufbauen kann.»

Das bestätigt auch der Schweizer Tennis- und SRF-Experte Heinz Günthardt – seine Wortgeplänkel mit dem Basel-Liebling sind legendär. Er freut sich, endlich wieder Federer-Matches zu kommentieren, vor dem ersten Mal bleiben seine Prognosen zum Comeback des fast 40-Jährigen allerdings vage: «Die Tenniswelt hat noch nie Vergleichbares gesehen. Es kommt mir wie ein guter Krimi vor, der unglaublich verschieden enden kann. Wir sind jetzt vor der ersten Episode. Es ist unmöglich vorauszusagen, wie parat er körperlich und mental wirklich ist, denn einen Ernstkampf kann man schlecht im Training simulieren.» Und doch meint Günthardt: «Federer hat schon oft Neuland betreten und Grenzen verschoben. Wenn das einer wieder schaffen kann, dann er. Auch Jimmy Connors erreichte mit 39 die Halbfinals der US Open. Aber der hatte niemals einen so guten Service wie Roger. Hinter dem wird er sich zu Beginn wohl etwas verstecken müssen.»

Traum-Comeback 2017

Die gleichen Fragen wie Günthardt stellt sich Federer selbst: «Wie reagiert mein Körper? Wie ist es, Turniere zu spielen? Das ist ganz speziell für mich nach einem so langen Jahr.» Ganz speziell, das war es für ihn auch 2017. Als er in Melbourne mit vielen Fragezeichen nach einem von Verletzungen geprägten Jahr mit einem Grand Slam wieder einstieg. Zwölf Monate zuvor hatte er sich bei einer unglücklichen Bewegung mit seinen Kindern an der Badewanne sein Knie verdreht. Wegen einer Virusinfektion verzögerte sich sein Comeback im Frühling bis zum Frühsommer. Wegen Rückenproblemen sagte er dann die French Open ab. Wimbledon war das grosse Ziel – doch bei der Fünfsatz-Niederlage im Halbfinal gegen Milos Raonic stürzte er, lädierte sich erneut das operierte Knie. Olympia in Rio sowie die gesamte zweite Saisonhälfte liess er aus.

Was dann passierte, hat wohl kaum einer vergessen. Nur noch als Nummer 17 der Welt feierte Roger Federer unter Tränen Down Under seinen 18. Major-Titel. Der Moment geht als einer seiner schönsten in die Geschichte ein. Und damit nicht genug: Der Evergreen gewann in derselben Saison 52 von 57 Matches, siegte auch in Indian Wells, Miami und Halle, holte seinen achten Wimbledon-Titel ohne Satzverlust, siegte in Shanghai und vor Heimpublikum in Basel.

Roger, du kannst das noch!

Ob ihm was Ähnliches noch einmal gelingt? Federer ist weitere dreieinhalb Jahre älter, seine Pause 2020 war noch länger ... Spekulationen darüber sind seit Wochen weltweit ein Thema. Die meisten Weggefährten, Tennis-Legenden und -Experten glauben: Roger, du kannst das noch!

«Man kann ihn nie abschreiben», sagt Ex-Champion John McEnroe. Der Amerikaner ist schlauer geworden. Nachdem er Roger vor vier Jahren nach dem Raonic-Out aus seinem Wohnzimmer humpeln sah, hatte er keinen Pfifferling mehr auf ihn gesetzt. «Nun ja, das wars dann wohl so ziemlich», sagte Big Mac. Heute verweist er auf Star-Quarterback Tom Brady und dessen Erfolge mit 43. «Es ist zwar schwer zu glauben, dass du in dem Alter noch an alten Leistungen anknüpfen kannst. Aber bei diesen phänomenalen Typen sollte man sich keine Fragen stellen.» Brady ist nach seinem siebten Sieg des Super Bowl auch eine Inspiration für Federer. Als einer der ersten Gratulanten kommentierte dieser auf Instagram: «Alter ist eben nur eine Zahl».

Davon ist auch sein 82 Jahre altes Vorbild Rod Laver überzeugt. Roger sei noch nicht am Zenit seiner Karriere angelangt, solange er seine Kräfte gezielt bündele, sagt er in einem Interview mit «Fox Sports». «In Roland Garros hat er nichts mehr zu sagen. Aber in Wimbledon und New York ist er noch immer ein Kandidat für den Sieg.»

Der schwedische Tennis-Experte Mats Wilander setzt vor allem auf Wimbledon und Olympia. «Er kann dort jederzeit gewinnen. Ich erwarte ein grosses Ergebnis von ihm – mindestens.» Der frühere Wimbledon-König Björn Borg, heutiger Captain in Federers «Team Europe» beim Laver Cup, geht sogar noch weiter. «Es tat mir leid, dass Roger nicht in Australien gespielt hat. Ich denke, er hätte auch da eine Chance gehabt.»

Rekord-Jagd geht weiter

Wenn es einer schafft, dann Federer – so tönt es aus allen Reihen. Boris Becker stellt Federer als Ausnahmeerscheinung auf eine Stufe mit Muhammad Ali und Michael Jordan und entzieht sich deshalb jeglichen Pessimismus. Der ehemalige Konkurrent und heutige Freund Tim Henman ist beim «faszinierendsten Spieler, den wir in unserem Sport je hatten» zuversichtlich: «Roger wird nicht einfach zurückkommen, um neue Zahlen zu erfinden. Er arbeitet unglaublich hart, um wieder die grössten und besten Turniere gewinnen.» Der aktuelle Rivale Rafael Nadal hofft, dass es Federer allen noch einmal zeigt: «Es wäre grossartig, wenn er wieder sein bestes Tennis spielen würde. Dass er bei guter Gesundheit auf höchstem Niveau spielen kann, hat er gezeigt und muss nichts mehr beweisen.» Federer-Kollege Andy Murray – ebenfalls ein rekonvaleszenter Comebacker – sagt sogar: «Selbst wenn er ein wenig körperlich hinterherhinkt, schätze ich ihn besser als die meisten Spieler ein.» Und Djokovic-Coach Goran Ivanisevic, der sich schon als aktiver Spieler an Federer die Zähne ausbiss, warnt: «Eine Sache habe ich gelernt, du solltest Roger nie unterschätzen. Spielt er, bedeutet das, er ist bereit und ein sehr gefährlicher Gegner.»

Just in der kommenden, allseits beachteten Tennis-Woche stürzt Ivanisevics Schützling einen der wichtigsten Rekorde des Schweizers. Novak Djokovic steht in der 311. Woche an Nummer 1 der Welt – damit ist Federer seinen Ruf als längste Weltnummer 1 der Geschichte los. Zuvor hatte ihn schon Nadal als 20-fachen Rekord-Grand-Slam-Sieger eingeholt.

Umso befriedigender wäre das Erreichen eines anderen Meilensteins: 103 Titel hat er, sieben weitere braucht es noch, dann hätte er US-Legende Jimmy Connors an der einsamen Spitze in dieser Statistik abgelöst! Federer nimmt die Trophäenjagd wieder auf. Und besonders ein alter Weggefährte wünscht ihm dabei «Waidmannsheil». Auf Instagram trifft der Russe Marat Safin den Nagel auf den Kopf, wenn er schreibt: «Rogelio, letzter Überlebender unserer Generation! Tritt den anderen weiter in die Ärsche! Respekt, Bruder.»

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