Der Fussball muss ja für fast alles herhalten. Für unerfüllte Sehnsüchte und Träume, für überbordende Emotionen, für Eitelkeiten und Selbstdarstellungen, für zwielichtige Geschäfte und Geldwäscherei, für finanzielle Exzesse oder auch staatliche Propaganda.
Und regelmässig wird er auch überladen mit Hoffnungen und Erwartungen. Schon der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter hat permanent vom völkerverbindenden Fussball referiert. Derweil seine Kollegen vom Exekutivkomitee ihre Haftstrafen abgesessen haben.
Jetzt ist Gianni Infantino am Drücker. «Katar ist die Heimat der Einheit, es ist heute die Heimat der arabischen Welt und morgen die Heimat der ganzen Welt. Lasst uns eine Fussballfamilie sein und die Welt vereinen», hat er im letzten Winter gesäuselt.
Es war der Auftakt zum «Arab-Cup». Die Generalprobe für die WM fand weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nicht mal die Gratistickets interessierten die Katarer. Auf der Tribüne applaudiert als einer der wenigen Pascal Zuberbühler. Einer der Lohnbezüger der Fifa.
Infantino wird in der Wüste gehegt und gepflegt und gegossen. Es ist zur vergoldeten Wüstenblume geworden. Und hat seinen Wohnsitz nach Doha verlegt. Und so legt Infantino bei der WM-Auslosung noch eine Schippe drauf. «Katar, das Land mit dem grossen Herzen, das alle Menschen willkommen heisst. Das wird die beste WM aller Zeiten.»
Spätestens da läuft es einem kalt den Rücken hinunter.
Man kann ja mal die Gastarbeiter aus Afrika, aus Nepal oder aus den Philippinen fragen. Zumindest jene, die ihren Einsatz überlebt haben.
Nach Russland also Katar. Ein Land ohne jegliche Fussballkultur. Es droht gähnende Leere in den klimatisierten Prunk-Stadien. Wenn dereinst einmal der schwärzeste Tag in der Geschichte des Fussballs gesucht wird, dann kommt der 2. Dezember 2010 in die engste Verlosung. Damals wurden Russland und Katar als WM-Veranstalter «gewählt.»
«Der Fussball gehört dem Volk. Und nicht einem greisen Männerzirkel. Noch nie war der Weltfussballverband Fifa so weit von seinem Volk und der vielzitierten Fussballfamilie entfernt wie jetzt. Herr Blatter, das war kein guter Tag für den Fussball», hat der Blick an diesem 2. Dezember 2010 kommentiert.
Der Fussball wird auch dieses Trauerspiel überleben. Dass er abseits der perversen Gier und Grossmannssucht immer wieder bewegende und integrative Geschichten schreibt, zeigt das Beispiel des Ukrainers Anatoliy Kozlenko.
Seine einstigen Mitspieler des Erstligisten FC Wohlen haben Geld gesammelt und dem 19-jährigen traumatisierten Kozlenko die Flucht ermöglicht. Jetzt spielt er wieder beim FC Wohlen. Und hat im Aargau ein neues Zuhause gefunden.
Im Kleinen findet vielfach statt, was im Grossen verbockt wird.