Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Slalom im Krieg

Die Gräben, die auch im Sport derzeit aufgerissen werden, müssen irgendwann auch wieder zugeschüttet werden. Die SonntagsBlick-Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 06.03.2022 um 19:55 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

Wie wird man zum Fan? Wird einem das in die Wiege gelegt? Ist es der Klub oder der Sportler aus der eigenen Stadt, dem eigenen Kanton oder dem eigenen Land?

Nehmen wir mal einen Männerslalom. Drücken wir da nur ganz patriotisch den Schweizern die Daumen? Also denen, die derzeit so oft einfädeln, dass sie wohl auch nie ein Paar Socken stricken könnten?

Vielfach verteilt man seine Sympathien auch nach Geschichten und Schicksalen. Und gerne hilft man ja den Aussenseitern und den Kleinen, die Überraschungen schaffen.

Beim Slalom fiebere ich mit dem Bulgaren Albert Popov mit. Am 17. November 2015 stürzt sein Trainer Drago Grubelnik auf der Fahrt zum Gletscher in Sölden bei Kehre 7 in den Abgrund. Auf 2455 Metern kommt er von der Strasse ab, überschlägt sich mehrmals und landet 270 Höhenmeter weiter unten.

Grubelnik stirbt, Beifahrer Ristov ist schwer verletzt, und der 18-jährige Albert kommt auf dem Rücksitz mit Gesichts- und Gelenkverletzungen davon. Und kann nach einem Jahr Pause wieder Rennen fahren. Bei jeder Fahrt hinauf zum Gletscher stockt mir bei Kehre 7 der Atem. Und bei jedem Rennen drücke ich Popov die Daumen.

Und ja, auch dem russischen Einmannteam Alexander Choroschilow gehören bei den nächsten Rennen gewisse Sympathien. Sofern er noch starten darf.

Wer derzeit mit der blau-gelben Flagge marschiert, dem fliegen richtigerweise die Herzen zu. Wer mit dem Stempel «Russland» ausserhalb der Landesgrenzen durchs Leben gehen muss, der ist ein Bösewicht aus dem Reich des Finsteren. Eine Kriegsgurgel, die ausgegrenzt und stigmatisiert werden muss.

Offene Gräben müssen zugeschüttet werden

Den Sport von der Politik zu trennen, muss weiter das Ziel sein. Den Sport von Krieg zu trennen, das geht nicht. Darum ist der Boykott gegenüber dem russischen Sport leider der einzige Weg.

Aber damit trifft man nicht die Führungsriege im Kreml. Junge, wohl meist friedfertige Sportlerinnen und Sportler, werden ihrer Träume beraubt und mit einem Berufsverbot belegt. Sie müssen ausbaden, was der kranke Putin und seine Schergen anrichten.

Auch in diesen Zeiten darf man nicht vergessen: Das sind Menschen, die irgendwann wieder ins gesellschaftliche und sportliche Leben in Europa integriert werden müssen. Die Gräben, die aufgerissen werden, müssen auch wieder zugeschüttet werden.

Die ganz unten baden aus, was die ganz oben verbrechen. Das ist immer so. Aber nicht immer so offensichtlich wie in so furchtbaren und ohnmächtig machenden Krisenzeiten.

Auch GC-Vizepräsident Andras Gurovits fordert im «Tages Anzeiger» harte Massnahmen gegen den russischen Sport. Das ist aktuell richtig.

Aber war es nicht auch Gurovits, der den Chinesen-Deal eingefädelt hat? Ist nicht auch der Weg des chinesischen Regimes mit Blut und Tränen getränkt? Was richten die Chinesen mit den Uiguren, mit den Menschen in Hongkong, im Tibet, in Taiwan an?

Es beschleicht einen einmal mehr das Gefühl: Zuerst das Geld und dann die Moral.

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