«Miteinander und füreinander da sein»
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Das Bedeutet Gemeinschaft:«Miteinander und füreinander da sein»

Was hält uns noch zusammen? SIG-Präsident Ralph Lewin über Gemeinschaft
«Es braucht mehr Begegnungen»

Sie mussten sich überall auf der Welt behaupten – müssen es noch immer: jüdische Menschen. Ralph Lewin ist Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes und sagt uns kurz vor Weihnachten, wie man eine Gemeinschaft zusammenhält.
Publiziert: 18.12.2021 um 10:59 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2022 um 16:58 Uhr
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Ralph Lewin (68), Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Er empfängt uns mitten in der Chanukka-Zeit, dem Lichterfest, das an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem vor über 2000 Jahren erinnert.
Foto: Thomas Meier
Rebecca Wyss

«Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.» Zwei Sätze bloss, vom grossen jüdischen Philosophen Martin Buber, und trotzdem steckt alles drin, was man übers Leben wissen muss. Auch wir wollen an diesem trüben Novembertag einem Mann begegnen, der weiss, was eine Gemeinschaft zusammenhält: Ralph Lewin (68), Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG).

Er empfängt uns vor der grossen Synagoge in Basel. Mitten in der Chanukka-Zeit, dem Lichterfest, das an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem vor über 2000 Jahren erinnert. Im Raum, in den er uns führt, steht ein mehrarmiger Leuchter, eine Chanukkia. An jedem der acht Feiertage zündet man eine Kerze mehr an, bis am letzten Tag alle brennen. Ralph Lewin ist nicht sehr religiös, meist nur an hohen Feiertagen in der Synagoge. Aber: Das Judentum sei mehr als eine Religion. «Es ist eine Identität, die ich nicht abstreifen kann und auch nicht will.»

Er nahm sich nicht als anders wahr

18’000 Juden leben in der Schweiz. Eine kleine Minderheit, die verfolgt wurde, sich immer wieder in einer Mehrheitsgesellschaft behaupten musste und muss. Das hallt im Jetzt in Basel nach: Draussen wachen Kameras und Security-Männer über die Synagoge.

Herr Lewin, wie fühlen Sie sich als Jude in der Schweiz?
«Ich spürte früh, dass wir zu Hause andere Bräuche und Rituale pflegten. Aber als Mensch nahm ich mich nie anders wahr.»

Lewin war lange im jüdischen Jugendbund Emuna aktiv, vor fast genau fünfzig Jahren lernte er dort seine spätere Frau Paula kennen. Oft war das Judentum in seinem Leben aber auch gar nicht so entscheidend. Er spielte in einer Schülerband Begleitgitarre, war Präsident des Schülerparlaments, studierte später Nationalökonomie, machte in der SP Karriere. Zwölf Jahre lang war er Basler Regierungsrat – dass er Jude ist, war in der Öffentlichkeit kein Thema. Bis er letztes Jahr SIG-Präsident wurde.

Wie hat Sie die Zugehörigkeit zum Judentum geprägt, Herr Lewin?
«Ich hatte immer schon ein Bewusstsein dafür, dass man mit Minderheiten sorgfältig umgehen muss.» Seine Eltern gaben ihm mit: Gehe vorurteilsfrei auf Menschen zu. «Jeder einzelne Mensch ist anders, eigen», sagt er.

Ein Schicksal zieht sich durch die Gemeinschaft

Erkenntnisse erlangt man durch Erfahrung. Durch Familiengeschichte. 1905 wanderte Ralph Lewins Grossvater aus dem heute weissrussischen Grodno nach St. Gallen aus. Als Juden im Zarenreich verfolgt wurden. Damals gab es in Grodno 33 Synagogen, heute noch eine. Schlimm traf es auch die Familie von Ehefrau Paula: Ihre Grosseltern wurden von Nazi-Kollaborateuren in Rumänien ermordet.

Schicksale wie diese ziehen sich durch die jüdische Gemeinschaft. Das verbindet. Und doch ist sie heterogen. Das zeigt sich schon bei den Matzeknödeln, der Suppeneinlage bei Feiertagsessen: 100 Familien, 100 Rezepte. Lewin aber muss alle zusammenhalten: Die Streng-Religiösen, die Modern-Orthodoxen und die Säkularen, die ihr Leben unterschiedlich stark nach den 613 jüdischen Geboten und Verboten ausrichten.

Was hält uns noch Zusammen?

Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.

Aleksander Radaca*

Melinda Nadj Abonji

Manuela Leemann

Tama Vakeesan

Ralph Lewin

Jessica Anderen

Hernâni Marques

Ewa Bender

Thomas Markus Meier

* Name der Red. bekannt


Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.

Aleksander Radaca*

Melinda Nadj Abonji

Manuela Leemann

Tama Vakeesan

Ralph Lewin

Jessica Anderen

Hernâni Marques

Ewa Bender

Thomas Markus Meier

* Name der Red. bekannt


Wie machen Sie das, Herr Lewin?
«Wir suchen zusammen einen gemeinsamen Nenner.» Es wird diskutiert. Und man findet sich, wenn es um Sicherheit und Antisemitismus-Prävention geht. Oder um die Vermittlung der jüdischen Kultur. Oft berichteten die Medien nur übers Judentum, wenn es um Antisemitismus, um den Holocaust gehe, sagt er. «Über unsere Kultur ist wenig bekannt.»

Zu ihr gehört die Klallarbeit, das gemeinnützige Engagement in der Gemeinde. «Meine Mamme erledigte bis ins hohe Alter für eine blinde Frau die Einkäufe und besuchte Kranke», sagt Lewin. Das sei nicht ungewöhnlich und mache eine Gemeinschaft aus. «Man schaut zueinander.»

Mehrheiten suchen – und finden

Wie steht es um den sozialen Kitt in unserem Land, wenn nun wieder mehr antisemitische Verschwörungstheorien kursieren?

«In der Schweiz federt die Mentalität einiges ab. Wir haben meist einen rücksichtsvollen Umgang miteinander.» Dazu passe die Konsenskultur. Als Politiker habe er sich nie mit 50,1 Prozent der Stimmen für ein Anliegen zufriedengegeben. Er suchte klarere Mehrheiten. Das sei typisch für die Schweiz.

Und doch gibt es ein Aber. Lewin sagt, die meisten hierzulande hätten noch nie bewusst mit einer jüdischen Person Kontakt gehabt. «Es bestehen Vorurteile.» Mit dem Projekt Likrat, der Aufklärung an Schulen, hat der SIG schon länger einen Schritt getan. Jetzt ist es an uns allen, den nächsten zu machen. Mit den Worten von Ralph Lewin, im Sinne von Martin Buber: «Es braucht mehr Begegnungen.»

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