«Manche Geschichten gehen nahe. Neulich rief eine Hörerin in die Sendung an und erzählte, dass der Samichlaus ihre Mutter als Kind in seinen Jutesack steckte und mitnahm. Sie hatte so Schiss und vergisst das bis heute nicht. Ich dachte: Wow, krass. So reagiere ich ab und zu. Da öffnen sich Menschen vor der ganzen Nation. Und ich sitze in der ersten Reihe.
Als Moderatorin bin ich für viele Hörer wie ein Familienmitglied. Wenn du alleine im Lastwagen sitzt oder auf einer Alp wohnst und nur Tierli um dich herum hast, bist du froh, wenn du eine vertraute Stimme hörst. Durch uns hat man das Gefühl, am Leben da draussen teilzuhaben. Man fühlt sich geborgen. So gehts auch mir selber. Die, die regelmässig anrufen und schreiben, kenne ich persönlich. Ich weiss, was sie arbeiten, ob sie Kinder haben. Manchmal erkenne ich sie schon an der Stimme: Ah, hoi Mirjam!
Radio ist so nah. Klar, es gibt auch die schwierige Nähe. Hat ein Hörer einen schlechten Tag, kann ich damit umgehen, da denke ich: Schön, kannst du bei mir etwas Dampf ablassen. Will einer aber mehr von mir, flirtet, phu! It’s not gonna happen.
Was ich in meinem Job gelernt habe: Menschen sind Menschen. Egal wie alt man ist, egal woher man kommt. Wir alle wollen gesehen, gehört, wahrgenommen werden. Auch deshalb finden wir in der Schweiz immer wieder zueinander. Und wegen der Vielfalt. Bei uns sind alle so verschieden, wir müssen immer wieder lernen, einander zu akzeptieren. Anders heisst nicht fremd. Das verstehen die Leute immer mehr. Dank der Jungen! Die bringen jetzt all die Dinge, die wehtun, auf den Tisch. So wissen wir alle, welche Bedürfnisse es gibt, nehmen uns gegenseitig besser wahr. Das ist gut für unser Gemeinschaftsgefühl.
Hey, Wahrnehmen ist mein neues Lieblingswort! Vielleicht mache ich bald mal eine Sendung dazu.
Abhängigkeiten verbinden
Wenn wir schon beim Thema sind: Meine Familie ist für mich die wichtigste Gemeinschaft überhaupt. Meine Eltern haben viel erlebt. Meine Mam flüchtete 1985 mit meinem Bruder und ihrer Cousine von Sri Lanka in die Schweiz. Mein Père arbeitete damals als Architekt in Saudi-Arabien, musste Geld verdienen, bekam vom Bürgerkrieg zu Hause wenig mit. Mam entschied eines Tages: Wir gehen. Ohne Männer. Die Frau ist so mutig. Das sehe ich heute. Früher gerieten wir zwei immer mal aneinander. Weil wir uns so ähnlich sind. Ich fand, sie sei schwierig, müsse immer das letzte Wort haben. Jetzt denke ich: Die hat recht! Soll sie ihre Meinung sagen.
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Meine Familie und ich sind «ride or die» – wir gehen durch dick und dünn. Wir brauchen uns. Ich bin 34, habe meine eigene Wohnung und sehne mich immer noch nach ihr. Nach ihrer Wärme, den Gerüchen von gekochtem Reis und Curry. Essen ist bei uns Liebe. Meine Mam wäre traurig, wenn sie uns nicht bekochen, für uns da sein könnte. Ähnlich mein Père. Er kommt mit seinen Rechnungen zu mir, die er eigentlich gut alleine anschauen könnte. Ich verdrehe jedes Mal die Augen. Er braucht das, glaub. Das ist unser Ritual. Familie bedeutet: Man schafft Abhängigkeiten, um sich zu verbinden.
Maria schenkte ihnen Tama
Das hat seinen Preis, klar. Meine Familie ist fordernd. Wenn ich mal mega busy bin, rufen sie nach mir: Tama, wo bist du? Warum kommst du nicht nach Hause? In der Schweiz findet man das schräg. Bei uns tamilischen Familien ist das normal. Und ich will das so. Ich mag dieses Gesuchtsein.
Noch etwas ist speziell bei uns. Leute mit Migrationshintergrund sind geübt darin, sich etwas zu eigen zu machen. Ich erklärs mit einer Anekdote. Meine Mam ist Hindu. Als sie mit meinem Bruder im Flüchtlingszentrum in Roggwil BE untergekommen war und beten wollte, gab es keinen Tempel. Also ging sie in die katholische Kirche, die daneben stand. Einmal sagte sie zu meinem Bruder, er könne sich bei der Maria etwas wünschen. Yathu wünschte sich eine kleine Schwester. Jahrelang fuhren wir an meinem Geburtstag zu dieser Kirche, bedankten uns bei der Göttin Maria. Egal, welche Religion man hat – es sind alles Wege zu Gott. Oder zur Göttin – wer weiss!»