Letzte Woche trug Jessica Anderen (52) in einer Video-Grussbotschaft ein weisses Gewand, Kerzen auf dem Kopf und sang ein schwedisches Lied. Anderen ist Chefin von 3300 Ikea-Mitarbeitern. Aber am 13. Dezember war sie einfach eine gut gelaunte Schwedin, die ihren Kollegen das Luciafest aus ihrer Heimat näherbrachte.
Angst, dass ihr dabei ein Zacken aus der Krone fallen könnte, hat Anderen nicht: «Wir haben eine familiäre und flache Hierarchie, und etwas Humor tut gut.» Ausserdem liebt sie das Lichterfest: «Schon als Kind bin ich als Lucia verkleidet mit meiner Grossmutter zu dem Umzug gegangen und habe gesungen. Es ist eine so schöne Tradition mit vielen Lichtern.» Das sei genau das, was man in diesen schwierigen Zeiten brauche, «einen gemeinsamen Lichtblick». In Schweden sei es nachmittags um drei schon stockdunkel: «Darum ist mein Kerzenverbrauch wohl so hoch», sagt Anderen und lacht.
Lichterfeste gibt es in jeder Kultur
Solche Traditionen gebe es aber überall auf der Welt: «In Indien feiert man Diwali, den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, in China lässt man zum Neujahr Laternen in den Himmel steigen.» Anderen arbeitet seit 30 Jahren für Ikea, 1994 zog sie mit einem Koffer nach China, dann war sie in verschiedenen Führungspositionen in Hongkong, Australien und in Indien tätig. «Egal in welcher Kultur, im Kern sind wir uns sehr ähnlich. Solche Traditionen halten zusammen und sind ein Anker, umso mehr, wenn das Leben so stürmisch ist wie jetzt.»
Mit im Gepäck war auch immer ihre Familie, ihr Mann und zwei inzwischen erwachsene Kinder: «Wir sind alle neugierig und offen, das macht es leichter, sich einzuleben und Menschen näherzukommen.» Ende 2019 ist Anderen als CEO von Ikea Schweiz nach Zürich gezogen, mit dem ganzen Hausrat, der sich über die Jahre angesammelt hat: «Zu Hause ist dort, wo das Herz ist», sagt Anderen. Darum sei es wichtig, sich mit Dingen zu umgeben, die einem lieb sind. Erinnerungen aus der Kindheit, von den verschiedenen Wohnorten, Geschenke, Fotos und Möbel.
Teil von was Grösserem
Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und Inklusion, das sind für die Managerin nicht nur Worthülsen, sondern Werte, die sie auch persönlich lebt. Sie sagt: «Mir ist es wichtig, Teil von etwas Grösserem zu sein und etwas bewegen zu können.»
Das gelte auch für die schwierige Zeit in der Pandemie. «Jeder Einzelne trägt im Kleinen dazu bei, um im Grossen was zu ändern.» Das mache Gemeinschaft aus, ist Anderen überzeugt. «Dafür muss jeder ein Stück über sich selbst hinauswachsen und weiter als bis zur Nasenspitze schauen.»
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Unter den momentanen Einschränkungen sei es nicht einfach, ein Unternehmen zu leiten. Aber sie sei jemand, der in der Krise zu Höchstform auflaufe: «Ich habe fast mehr Energie, wenn ich gefordert bin. Wichtig finde ich, dass man trotz allen Hindernissen das Ziel nicht aus den Augen lässt.» Das tut sie bewusst auch in der Wahl ihrer Worte: «Bei uns wird nichts annulliert, sondern verschoben.» Das gilt auch für das Personalfest, das normalerweise im Januar stattfindet. «Dann feiern wir halt im Sommer.»
Austausch mit 100 Nationalitäten
Der Austausch mit den Mitarbeitern ist ihr wichtig, die kommen aus fast 100 Nationen. «Daraus entsteht eine eigene Kultur, damit spiegeln wir bei Ikea bewusst die vielfältige Gesellschaft, in der wir leben.» Einmal die Woche trifft man sich zur Fika, einer Art schwedisches Kaffeekränzchen: «Man tauscht sich aus bei Kaffee, Tee und was Süssem. Ein lockerer Rahmen, um sich gegenseitig zu inspirieren. Momentan findet das halt virtuell statt.»
Im ersten Lockdown begann Anderen, ihren Mitarbeitern zu schreiben. Persönlich und transparent, dafür nimmt sie sich noch immer regelmässig Zeit. So letzte Woche, schon um fünf Uhr morgens sass sie am Laptop: «Es war noch dunkel, und ich liess meine Gedanken ziehen.» Bis ihr Blick am Holzherz hängen blieb, das ihren Weihnachtsbaum schmückt: «Believe» steht da drauf: «Darum geht es, wir müssen optimistisch bleiben und daran glauben, dass es wieder besser wird.» Denn es sei einfach zu resignieren, aber man müsse vorwärtsschauen, und zwar gemeinsam.
Weihnachten in Schweden
Jetzt freut sich Anderen aufs Weihnachtsfest daheim mit ihrer Familie in Schweden: mit dem Gottesdienst morgens um sechs und dem gemeinsamen Kochen – einer Leidenschaft von Anderen. Zum Festmahl gehört Lachs in allen Variationen, ein selbst zubereiteter Julskinka, ein Gewürzschinken, und nie fehlen darf der Randensalat nach Grossmutters Rezept und Ingwerguetzli. Anderen: «Rituale halten uns zusammen, auch wenn wir sie im kleineren Rahmen feiern.»