Viele finden langweilig, wofür Thomas Markus Meier (56) sein Erspartes ausgibt. Er sammelt Bibeln. Andere kaufen sich für 25’000 Franken ein Auto, der Theologe stotterte für diesen Preis jahrelang sein teuerstes Exemplar ab: eine originalgetreue Nachbildung einer Bibel aus dem 13. Jahrhundert.
Er habe eine Krankheit am Zeigefinger, sagt er. Wenn bei einer Auktion stehe: «Wollen Sie wirklich kaufen?», drücke er oft auf «Ja». Nun gibt es über hundert Bibeln in einer Bücherwand in der katholischen Pfarrei St. Anna in Frauenfeld TG. Gezählt hat er sie nie, die Anzahl ist ihm egal. Was ihn fasziniert, ist die Vielfalt. Seine Spezialität: Bibeln mit Bildern.
Arche Noah als Comic
Künstler wie der Surrealist Salvador Dalì haben biblische Szenen gemalt, oder Rosina Wachtmeister, die bekannt ist für ihre Katzenbilder. Meier besitzt auch ganz moderne Ausgaben. Zum Beispiel Comic-Bände über die Geschichte der Schöpfung oder die der Arche Noah.
«Die Bibel ist ein Buch der Gemeinschaft, denn sie vereint so viele verschiedene Stimmen», sagt Meier und fügt ein Beispiel an: Die Geschichte von Jesus wird in den vier Evangelien erzählt. Doch die Versionen von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes seien teilweise ganz unterschiedlich. Die Weihnachtsgeschichte erzählen nur zwei, auch der Stammbaum von Jesus stimme überhaupt nicht überein. Es gebe Bibelgläubige, die dächten, die Bibel habe immer recht. «Das ist Mist, vieles widerspricht sich. Doch alle Autoren erzählen ihre Wahrheit. Damit will ich sagen: Die unterschiedlichsten Meinungen stehen in der Bibel, und sie alle finden ihren Platz darin.»
Das bedeutet für andere Menschen Gemeinschaft
Aufgewachsen ist Meier in einer religiösen Familie in Obergösgen SO. Als Kind besuchte er die Schülermesse, zu Hause spielte er mit seiner Schwester und Kollegen die Szenen der Kirche nach. Einmal heiratete er ein Gschpänli, manchmal predigte er als Pfarrer.
Später liess er sich zum Lehrer ausbilden, merkte aber, dass er kaum Chancen haben würde, eine Stelle zu finden. Das war in den 1980er-Jahren, als es zu viele Lehrer gab. Da ihn Fragen über Gott schon damals interessierten, besuchte er das Priesterseminar in Chur GR – das einzige, das damals Männer und Frauen, Verheiratete und Ledige ausbildete. Er wusste sofort: «Das will ich machen.»
Lustige Fehler in der Bibel
Mittlerweile hat er so viele verschiedene Bibeln gelesen, dass Details, die ihn faszinieren, aus ihm heraussprudeln. Etwa, dass es lange Zeit keine deutsche Bibel gab, die aus dem Lateinischen übersetzt wurde. Ein Verlag scannte dann vor 15 Jahren eine alte Version in Frakturschrift ein, liess sie automatisch in Druckbuchstaben umwandeln. Er holt eine Bibel aus dem Regal, schlägt eine Seite auf und sagt amüsiert: «Nun steht da bei Evas Strafe, als sie aus dem Paradies vertrieben wurde: ‹Mit Schmerzen wirst du Rinder gebären›!» In der Frakturschrift gleichen sich die Buchstaben R und K. Über solche Finessen tauscht er sich via Facebook mit Menschen aus, die er noch nie gesehen hat.
Meier wohnt alleine in Obergösgen, er lebe sparsam, sagt er. Unvernünftig viel gebe er nur für Bibeln aus. Er mag die Ruhe, während er sich in die Bücher vertieft. Wenn er eine Predigt vorbereitet, geht er oft spazieren oder in der Aare schwimmen. Genauso schätzt er aber auch die Gemeinschaft in der Kirche Frauenfeld, seinem Arbeitsort, und das Kaffeetrinken mit den Gläubigen nach der Predigt. «Ohne Gemeinschaft würde der Mensch verkümmern», ist er überzeugt.
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Die Kirche und Religion könnten einen Beitrag dazu leisten, den Gedanken für das Gemeinsame zu stärken in einer Gesellschaft, in der sich Menschen immer stärker auf sich selbst beziehen. Doch er kenne auch nicht religiöse Personen, die nach hohen ethischen Prinzipien lebten.
Manchmal schenken ihm ältere Menschen jahrhundertealte Bibeln. Dort drin sind oft Daten von Hochzeiten notiert, manchmal ist ein Strichmännchen reingemalt. «Das sind Spuren des Lebens. Jedes Buch hat eine Geschichte, die von vielen Generationen vor mir erzählt», sagt er. Für Thomas Markus Meier bilden auch seine Bibeln ein Stück Gemeinschaft.