Seit fünf Jahren schläft Aleksander Radaca* (35) in einem Bett, das ihm nicht gehört; er isst mit Menschen Frühstück, die er sich nicht ausgesucht hat; abends sperrt eine Person, die er kaum kennt, die Tür des Zimmers zu.
Aleksander Radaca lebt seit fünf Jahren im Gefängnis. Den längsten Teil verbrachte er mit über hundert anderen Straftätern in Menzingen ZG im geschlossenen Vollzug. Das bedeutet: harte Regeln, kaum Freiheiten. Er arbeitete im Putzdienst, reinigte die Zellen von Insassen, die das Gefängnis verliessen.
270 Häftlinge sah er kommen und gehen. Nur zwei davon wurden wirklich gute Freunde von ihm. An einen klammerte er sich, als er ins Gefängnis eintrat, später führte Radaca den anderen ins Gefängnisleben ein. Auch hinter dicken Mauern brauchen Menschen einen Götti.
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.
* Name der Red. bekannt
«Als Gefangener bist du in einer Zwangsgemeinschaft, besonders am Anfang war das heftig», sagt er. Viele Kulturen auf engstem Raum, das führe zu Problemen. Radaca ist Serbe, geboren und aufgewachsen ist er in der Schweiz. Hier machte er eine Ausbildung zum Automechaniker. Er habe lernen müssen, sich abzugrenzen von Insassen, die Probleme und Streit suchten. Auch mit Tätern, die Frauen oder Kinder missbraucht hatten, wollte er keine Zeit verbringen.
Tränen im Gefängnis
Gleichzeitig versuchte er, Teil seiner Gemeinschaft draussen zu bleiben. Als er seinen kleinen Sohn nach sechs Monaten Untersuchungshaft durch eine Trennscheibe sah, weinte er. Nie vergessen wird Radaca den Moment, als er ihn, seine Verlobte und seine Mutter zum ersten Mal wieder umarmen durfte. «Ich roch das Parfüm meiner Freundin und spürte ihre Haut, das war ein absolut fantastisches Gefühl.»
Sein Sohn ist mittlerweile zehn Jahre alt, er lebt bei Radacas Mutter und seiner Ex-Frau. Ihm habe er erzählt, er habe «Räuber und Polizei» gespielt und sei erwischt worden. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, will er ihm die Taten genauer erklären. «Ich kann nichts anderes als auf sein Verständnis hoffen. Es tut mir leid, dass ich ihn alleine gelassen habe.»
Therapie abgeschlossen
Die Verbrechen, die Radaca beging, möchte er nicht zusammen mit seinem Foto in der Zeitung sehen. Verurteilt wurde er zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe, wovon er zwingend zwei Drittel im Gefängnis verbringen muss, bevor er bedingt entlassen wird. «Die Delikte sind schlimm, ich bin schuldig und bereue sie», sagt er. Wichtig ist ihm: Er habe nie einen Menschen verletzt. Die vergangenen Jahre verbrachte er viele Stunden vor allem in Gemeinschaft mit sich selbst. Und er schloss eine Therapie ab, bei der er die Taten und seinen Werdegang aufarbeitete. Er habe, beteuert er, seine Werte wiedergefunden.
Das bedeutet für andere Menschen Gemeinschaft
Weil er sich gut benahm, durfte er im Februar in die offene Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos in Egolzwil LU wechseln. Deren Direktor lobt ihn für sein anständiges Verhalten. Im offenen Vollzug sollen sich Täter resozialisieren, sie arbeiten und dürfen ab und zu Familie oder Freunde besuchen. Er lebe von Urlaub zu Urlaub, sagt Radaca. Das nächste Mal raus für 58 Stunden darf er an Silvester.
Seine Verlobte hält zu ihm
«Ich vergass nie, zu wem ich gehöre. Ich würde auf alles verzichten, aber nicht auf meine Familie.» Immer wieder erwähnt er, wie dankbar er seinem «Mami» sei und seiner Verlobten, die all die Jahre bei ihm blieb. Diese Gemeinschaft draussen gibt ihm Halt. Manche Menschen haben sich auch von ihm abgewandt, ein «Scheissgefühl», sagt er.
In wenigen Wochen ist seine Haft vorbei – doch Radacas Umgebung wird ihm fremd bleiben. Polizisten werden ihn nach Zürich bis ins Flugzeug Richtung Serbien begleiten. Dort kennt er ausser seinem Vater kaum jemanden. Fünf Jahre lang ist es ihm verboten, in die Schweiz zu reisen.
Die Ausschaffung ist das Einzige, was er an seiner Strafe als ungerecht empfindet. «Ich war ein Krimineller und finde es in Ordnung, dass ich deswegen ins Gefängnis musste», sagt er. Sein Sohn habe den Schweizer Pass, ihn während weiteren Jahren nur in den Schulferien zu sehen, halte er für eine doppelte Bestrafung.
Für Radaca ist klar, dass er, sobald er darf, zurückkehrt in die Schweiz. Zurück in die Gemeinschaft von Menschen, die er sich selber ausgesucht hat.
* Name geändert