Sexueller Missbrauch in der Kirche – Josef Henfling (39) klagt vier Priester an
«Ich wollte nichts mehr fühlen, nur noch sterben»

Josef Henfling klagt vier Priester wegen sexuellem Missbrauch an. Es geht auch um einen Übergriff durch Bischof Walter Mixa in einem Bauernhof bei Gossau SG.
Publiziert: 26.11.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2023 um 17:30 Uhr
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Josef Henfling erhebt Vorwürfe gegen vier Priester.
Foto: Sebastian Arlt/laif
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Raphael RauchBundeshausredaktor

«Mein Leben ist total kaputt», sagt Josef Henfling (39). «Ohne das Kiffen und die Erinnerungen an meine Jugendliebe hätte ich mir längst das Leben genommen.»

Zum ersten Mal spricht Henfling öffentlich darüber, was er in der katholischen Kirche erlebt hat. Er wirft vier Priestern Missbrauch vor und hat Strafanzeigen eingereicht, unter anderem gegen Ex-Bischof Walter Mixa (82). Der ehemalige Oberhirte des Bistums Augsburg (D) soll ihn in Gossau SG umklammert und auf den Mund geküsst haben.
Aber der Reihe nach:

Henfling wuchs bei Pflegeeltern in Bayern auf, die tief im katholischen Milieu verwurzelt waren. Sie gehören der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE) an – einer erzkonservativen Gruppierung, von der sich die katholische Pfadi in der Schweiz klar distanziert.

1997 kommt Henfling in ein Internat der Diözese St. Pölten (Österreich), die wegen vielen Sexvorwürfen als Skandalbistum gilt. Der aus der Pfadfinderschaft hervorgegangene Orden der «Diener Jesu und Mariens» nimmt sich des Pflegekindes an – wohl auch mit sexuellen Absichten, wie Henfling glaubt.

Wer sind die vier Gottesmänner, denen der ehemalige Internatsschüler Missbrauch vorwirft?

Pater Alfred*

Ordensmann der Diener Jesu und Mariens. «Ab 1998 kam es zu nahezu täglichen sexuellen Übergriffen durch Pater Alfred», erzählt Henfling. «Streicheln, Küssen auf Gesicht und Mund (inklusive Zungenküssen), dem regelmässigen Entfernen von Fusseln aus dem Bauchnabel und dem vermeintlich zufälligen Berühren der Genitalien beim Zudecken.» So steht es in einer Aktennotiz, die an die Staatsanwaltschaft in Österreich ging und SonntagsBlick vorliegt. Henfling: «Pater Alfred setzte mich auch auf seinen Schoss. Ich konnte spüren, dass er einen Ständer hatte.» Der Priester (55) bestreitet die Vorwürfe.

Pfarrer Juan*

Priester des Bistums St. Pölten. «Pfarrer Juan merkte, dass ich keine Eltern hatte und arm dran war. Er kaufte mir Schmuck, teure Uhren, legte ein Sparbuch für mich an», erzählt Henfling. «Es kam zu regelmässigen sexuellen Übergriffen. Er hat mich begrapscht und wurde nachts zudringlich.» Henfling sagt, er sei finanziell abhängig gewesen und dazu erzogen worden, sich gegenüber Priestern «stets gefügig» zu verhalten. Pfarrer Juan war für SonntagsBlick nicht zu erreichen. Das Bistum St. Pölten kündigte eine Untersuchung an.

Pfarrer Andreas* (54)

Priester des Bistums Chur. «Ich hatte keinen Job und kein Geld», erzählt Henfling. «Pfarrer Andreas hat mir angeboten, in der Schweiz zu arbeiten.» 2012 wohnte er zeitweise in Alvaschein GR. «In dieser Zeit kam es wiederholt zu sexuellen Übergriffen in Form von Umarmungen und Küssen (inklusive Zungenküssen)», so die Aktennotiz. Der Pfarrer habe sogar Gewalt angewandt, Henfling spricht von versuchter Vergewaltigung. Sollten die Behörden dem folgen, könnte Pfarrer Andreas verurteilt werden, denn eine versuchte Vergewaltigung verjährt erst nach 15 Jahren. Der Priester aus dem Kanton Graubünden bestreitet die Vorwürfe.

Bischof Walter Mixa

Der ehemalige Leiter des Bistums Augsburg gilt als konservativer Gotteskrieger. Hartnäckig verweigerte er sich der Diskussion von Genderthemen; Pläne der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (65) für den Kita-Ausbau kritisierte er mit den Worten, sie degradiere Frauen zu «Gebärmaschinen». Nach Prügelvorwürfen trat er 2010 zurück. Henfling lernte Mixa 2012 beim katholischen Fernsehsender K-TV kennen, der auf einem Bauernhof bei Gossau Messen und fromme Interviews aufzeichnete.

2012 kam Mixa für Filmaufnahmen ins Sanktgallische. Nach der Messe folgte laut Henfling der sexuelle Übergriff: «Der Bischof zog mich an sich, umklammerte mich fest und küsste mich auf den Mund. Später lud er mich auf sein Zimmer ein.» Bischof Mixa zeigt gegenüber SonntagsBlick kein Unrechtsbewusstsein: «Wenn ich jemanden umarme und küsse, dann als Zeichen der Zuneigung. Das ist doch keine Belästigung!» Zudem habe er keine Erinnerung an den Vorfall.

Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Josef Henfling berichtete verschiedenen Würdenträgern von den Übergriffen, doch keiner habe sich seines Falles angenommen. «Im Gegenteil, ich wurde eingeschüchtert und ermahnt, dass eine Falschaussage strafbar sein könnte.Die Kirche schützt Täter und interessiert sich nicht für die Opfer», sagt Henfling. Im Bistum Eichstätt (D) geriet er gar an einen Exorzisten, der versprach, ihn von seinem Trauma zu befreien. «Der Priester machte mich für die Übergriffe mitverantwortlich. Ich, das Opfer, war plötzlich Täter.»

Nur von einem Mitgläubigen fühlt sich Henfling verstanden: dem Münchner Kirchenrechtler Wolfgang Rothe (56). Der half ihm, das Erlebte auf Papier zu bringen sowie strafrechtliche und kirchenrechtliche Anzeigen einzureichen. Die Staatsanwaltschaften von St. Gallen und Graubünden bestätigen gegenüber SonntagsBlick, dass Henflings Anzeige eingegangen ist. Dem Bischof von Chur, Joseph Bonnemain (75), und dem Bischof von St. Gallen, Markus Büchel (74), liegen ebenfalls seit dieser Woche kirchenrechtliche Anzeigen vor. Auch sie müssen jetzt aktiv werden.

Henfling stürzten die Übergriffe in eine schwere Depression, wie er berichtet: «Ich war psychisch völlig am Ende. Ich habe mich schlafen gelegt.» Damit will er sagen, er habe sich jahrelang mit Joints zugedröhnt: «Ich wollte nichts mehr fühlen. Ich wollte den Schmerz vergessen und nur noch sterben.»

Henfling wendet sich an die Öffentlichkeit, weil er der Kirche nicht zutraut, ihre Verbrechen aus eigener Kraft aufzuklären. Das Jus-Studium hat er abgebrochen, kürzlich ist ihm wieder eine Freundin weggelaufen. Henfling hofft auf einen Therapieplatz, auf eine zweite Chance im Leben.

Und darauf, dass die Justiz seine Peiniger zur Rechenschaft zieht.

* Namen bekannt

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