Thomas Pfeifroth (57) ist Priester geworden, obwohl er in seiner Jugend selbst von einem Priester missbraucht wurde. 41 Jahre später sagt er: «Mir ist richtig schlecht geworden, was Bischof Gmür am Dienstag anlässlich der Missbrauchsstudie von sich gegeben hat. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf platzt. So viel Wut staut sich im Kopf.»
Felix Gmür (57), Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, sagt vor Kameras und Mikrofonen Sätze wie: «Manche Betroffene können erst nach vielen Jahren über das Vorgefallene sprechen.» Und: «Alles Geschehene muss ans Licht kommen.» In einem Schreiben jedoch, das Gmür mit der salbungsvollen Grussformel «Ihr im Herrn ergebener ...» unterschrieben hat, schlägt er andere Töne an. 2011 fand er es «irritierend», dass Pfeifroth «seine Anzeige nicht vor oder während der Zeit seiner Ausbildung zum Priester gemacht hat».
«Niemand übernimmt Verantwortung»
Bereits seit Jahren kämpft Pfeifroth gegen das «Unrechtsregime» in der katholischen Kirche, wie er es nennt: «Ich renne von Pontius zu Pilatus, aber niemand übernimmt Verantwortung. Alle waschen ihre Hände in Unschuld.»
Seine Beharrlichkeit könnte nicht nur für Bischof Gmür gefährlich werden, sondern auch für Franz Sabo (69). Denn der galt bislang als Held: ein gefeierter Rebell, der sich öffentlich gegen Bischof Kurt Koch (heute Kardinal in Rom) und den Vatikan auflehnt. Einer, der Sätze sagt wie: «Ich lebe meine Sexualität.» Immer wieder legt sich Sabo mit der katholischen Hierarchie an. SRF widmete ihm 2005 sogar einen Dokfilm.
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
Recherchen von SonntagsBlick zeigen ein anderes Bild. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass nun ein Kapitel der Schweizer Kirchengeschichte umgeschrieben werden muss.
Erst floss der Alkohol – dann kam es zum Sex
Der Fall, über den Thomas Pfeifroth jetzt erstmals öffentlich spricht, liegt mehrere Jahrzehnte zurück, wühlt ihn aber noch immer auf. Bamberg (D) im Jahr 1982: Als der Jugendliche seinem Beichtvater Franz Sabo zum ersten Mal begegnet, ist er 17 Jahre alt. Sein erster Eindruck war positiv. Sabo sei aufgeschlossen und liberal: «Ich hatte die Hoffnung, mit ihm über meine Homosexualität zu sprechen.» Die Beichte findet in der Wohnung des Priesters statt. Schon während der Beichte habe ihm Sabo Komplimente gemacht. Später lud ihn der Gottesmann erneut in seine Wohnung ein, so dessen Ankläger. Erst floss der Alkohol – dann kam es zum Sex. Heute sagt Pfeifroth: «Das war Missbrauch, ich war minderjährig.» Damals schwieg er.
Lange Zeit geschieht nichts. 1992 wechselt Sabo von Bamberg nach Basel. Noch mal zehn Jahre später meldet er sich bei Pfeifroth und will wissen, ob er hinter einer anonymen Anzeige in der Schweiz stecke. Sabo war im Bistum Basel beschuldigt worden. Pfeifroth verneint, schreibt Sabo aber in einem Brief: «Ich wurde von Ihnen sexuell missbraucht. Ich stand in einem eindeutigen Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen. Ich suchte nach Vergebung der Sünden von einem Priester und dies wurde schamlos ausgenutzt.»
«Ich habe Dich ganz sicher nicht vergewaltigt!»
Sabos Antwort: «Ich habe damals einen Fehler gemacht. Aus meiner Sicht liegt auch ein Missbrauch vor! Allerdings sehe ich diesen Missbrauch vor allem – nicht nur – darin, dass ich mein Amt missbraucht habe und weniger Dich! Denn ich habe Dich wirklich sehr gemocht, und es ging mir nicht nur um Deinen Körper, und ich habe Dich ganz sicher nicht vergewaltigt!» Besonders empört Sabo, dass Pfeifroth von ihm als Zeichen seiner Ernsthaftigkeit Geld fordert.
Von all dem erfährt die Öffentlichkeit nichts. Stattdessen liefern sich Sabo und Bischof Kurt Koch, seit 2010 Kardinal in Rom, einen öffentlichen Streit. Die Kirchgemeinde in Röschenz BL steht voll hinter Sabo und schützt ihn vor einer Entlassung.
«Die Angaben sind im vollen Umfang glaubhaft»
Mittlerweile hat Pfeifroth den Jesuiten Klaus Mertes (69) kennengelernt, eine Art katholischen Chefaufklärer in Sachen Missbrauch. Mertes ermutigt Pfeifroth, Anzeige zu erstatten.
Die Staatsanwaltschaft Bamberg ermittelt, stellt das Verfahren jedoch 2010 wegen Verjährung ein. «Die Angaben des Zeugen Thomas Pfeifroth sind im vollen Umfang glaubhaft», steht in der Einstellungsverfügung, die SonntagsBlick vorliegt. Auch Sabos Brief zeige, dass «der Beschuldigte letztlich den stattgefundenen sexuellen Missbrauch eingeräumt hat». Strafrechtlich ist Sabo unschuldig.
Bamberg verweist auf Basel, Basel handelt nicht
Es gibt jedoch nicht nur das weltliche Recht, sondern auch das Kirchenrecht. Seit 2001 muss jeder Missbrauch von Minderjährigen nach Rom gemeldet werden. 2010 teilt das Erzbistum Bamberg Pfeifroth mit, er solle sich an das Bistum Basel wenden. Und Pfeifroth erstattet dort Anzeige: «Ich beschuldige Franz Sabo, mich als Minderjährigen und Schutzbefohlenen sexuell missbraucht zu haben.»
Bischof Felix Gmür jedoch, Sabos Vorgesetzter, lässt ausrichten, er werde wegen Verjährung kein Strafverfahren in die Wege leiten und in Rom auch nicht um Aufhebung der Verjährungsfrist bitten. Für Pfeifroth steht deshalb fest: «Bischof Felix Gmür wusste, dass er Handlungsspielraum hatte. Doch so blieb der Täter geschützt.»
Zermürbendes Pingpong-Spiel
Pfeifroth spricht von einem «zermürbenden Pingpong-Spiel»: Das Erzbistum Bamberg verweist auf Basel, doch das Bistum bleibt untätig. Pfeifroth wendet sich an eine Kirchenrechtlerin und schickt eine Klageschrift direkt nach Rom. Auch dort tut sich lange Zeit nichts.
Am Ende reagiert Rom. 2015 erfährt Pfeifroth über Umwege: «Der Bischof von Basel hat die Kongregation auf die Reue des beschuldigten Priesters hingewiesen. Die Kongregation hat den Bischof nun beauftragt, diesem ein angemessenes Busswerk als Ausdruck dieser Reue aufzuerlegen.» Sabo soll seine Schuld also mit einer Beichte sühnen. Für Pfeifroth inakzeptabel: «Der Priester hat sich bis heute nicht bei mir entschuldigt, ich habe von ihm keine Entschädigung erhalten. Erst wird das Beichtgeheimnis verletzt, um mich zu verführen. Und dann wird das Beichtgeheimnis genutzt und so der Täter geschützt.»
Franz Sabo ist noch immer im Bistum Basel tätig
Trotz mehrmaliger Nachfragen antwortete Sabos Anwalt nicht auf die Fragen von SonntagsBlick. Bischof Felix Gmür weist Pfeifroths Kritik zurück, gegen das Kirchenrecht verstossen zu haben. Allerdings räumt Gmür ein, dass sein Schreiben aus dem Jahr 2011 «unsensibel» war.
Gmürs Reaktion empört Thomas Pfeifroth: «2011 hat Gmür gar nichts gemacht. Auch heute übernimmt er keine Verantwortung. Franz Sabo ist noch immer als Priester im Bistum Basel tätig.»
Der katholische Priester Pfeifroth ist seit zwei Jahren krankgeschrieben. Er lebt in Berlin. Über seine Kirche sagt er: «Dieses Unrechtssystem kann sich nicht selbst reformieren.» Und: «Es ekelt mich vor der Kirche. Ich möchte mit den krank machenden Strukturen voller Homophobie, Frauenverachtung und einer verlogenen Sexualmoral nichts mehr zu tun haben.»